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Franz Martin Olbrisch

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FM o99.5

Inhalt

FM o99.5

© 1997 - Schott Wergo Music Media GmbH

Retortenwerk Klänge aus dem Computer

Wer glaubt denn noch daran, daß Computer die Arbeit erleichtern? Alle. Obwohl das "papierlose Büro" zu einer Verfünffachung des Papierverbrauchs geführt hat (Handbücher, Fehlausdrucke). Obwohl ungezählte Stunden Lebenszeit bei dem Versuch verrinnen, eine banale Programmfunktion zu ergründen. Trotzdem ist der Aberglaube, Computer würden die fortgeschrittene Menschheit von der Fron der Drecks- und Wiederholungsarbeit befreien, noch weit verbreitet.

Auch auf dem Sektor der Musik. "Algorithmus suchen, Klangmaterial samplen, Knopf drücken fertig ist das Meisterwerk." Wer´s glaubt, hat´s nie versucht. Computermusik ist eines der undankbarsten Geschäfte. Die Geräte sind unübersichtlich komplex, die Probleme daher grenzenlos und die Resultate meist überaus bescheiden. Das Stück FM 099.5 entstand, als die Donaueschinger Musiktage dem Komponisten Franz Martin Olbrisch den Auftrag gaben, ein Stück Computermusik zu erstellen, das einen Bezug zur Geschichte des Festivals hat. Nun muß man wissen, daß Olbrisch in allem, was er tut, etwas extrem ist. So verschwand der Komponist für zwei Jahre in den Tiefen eines elektronischen Studios. Mit sich führte er unzählige Tonbänder von Orchester- und Ensemblestücken, von Jazzkonzerten, Installationen und Hörspielen, die in Donaueschingen aus der Taufe gehoben worden waren. Ihnen entnahm er kleine und kleinste Klangschnipsel. Gab sie dem Computer ein. Verformte sie. Puzzelte sie neu zusammen. Eine Sklavenarbeit.

Und als er wieder zum Licht zurückkehrte, brachte er einen Klangkosmos mit, der die neuere Musikgeschichte in nuce enthält und dennoch höchst unikat ist. In FM 099.5 (Wergo 2054-2) verwendet Olbrisch keinen einzigen eigenen Ton und schuf dennoch ein ganz und gar eigenes Werk keine Zitate, keine Assonanzen. Hörend stellt sich die Art von Schwindel ein, die einen ergreift, wenn man etwas wahrnimmt, was es eigentlich gar nicht geben dürfte: etwa ein Streicherflageolett, das lauter als ein Orchestertutti ist oder eine fauchend angehauchte Flöte, die ein ganzes Holzbläserensemble wegbläst. Die Proportionen und Konsistenzen stimmen nicht das Kleine ist groß, das Leichte schwer, und das Weiche ist hart.

So liegt endlich einmal Computermusik vor, die nicht eine synthetische Klangwelt voller Heuler, Piepser und sonstiger Science-fiction-Film-Effekte vorgaukelt, sondern neue Perspektiven in die Musik einführt. Man könnte fast zum Glauben zurückfinden, daß sich mit den Kisten doch etwas Künstlerisches anstellen läßt.

Frank Hilberg
DIE ZEIT vom 6. August 1998

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