Dima Prigow ist tot.

Dmitrij Prigov

Ich habe wieder einen Freund verloren.

Ich kannte ihn aus Erzählungen. Ich hatte seine Bücher gelesen.
Aber persönlich trat er in mein Leben im Frühjahr 1992.
Bei einem FreeJazz-Konzert im „Bunker“ in Moskau trat ein Mann in deutscher Bundeswehrjacke vor die Musiker und begann zu rezitieren.
Ich war fasziniert. Ich erfuhr seinen Namen: Dmitri Alexandrowitsch Prigov.
Viele Male haben wir uns seitdem getroffen, in Deutschland, Frankreich, Rußland.
Zuletzt auf der 2. Moskauer Biennale für Zeitgenössische Kunst.
Er war immer da.

Jetzt fehlt er uns.

Leskow besticht

immer wieder durch seine klare Sprache und die genaue Beschreibung von „Typen„, denn so gut wie er „sein Rußland“ kannte, so gut kannte er die Menschen.

Nikolai Lesskow
Nikolai Lesskow

Und konnte so klare und reduzierte Erzählungen schreiben, die auf die Menschen zeigen.

So habe ich nun „Seliwan der Waldschreck“ gelesen. Natürlich ist die Moral klar: verblendete Menschen werden durch den verfemten Sonderling geläutert.

Aber ich fühle mich eben auch geläutert nach dieser Lektüre.

Nikolai Lesskow: Seliwan der Waldschreck

Pappband: 67 Seiten

Verlag: Piper (1952)

Sprache: Deutsch

ASIN: B0000BKY7P

Wiederlesen tut gut

Herr Korovjew
Herr Korovjew

ich habe mir nun zum zweiten Male Bulgakovs „Der Meister und Margarita“ vorgenommen.

Warum?

Es ist ein wichtiges Buch. Ich erinnere mich an das erste Lesen, an Ereignisse, Figuren, ich treffe in Moskau auf Spuren dieses Buches und seines Autors, ich erfahre wie wichtig dieses Buch in Rußland ist und dann stelle ich fest, daß ich mich zuwenig an die Lektüre erinnere.

Ich habe die DVD-Ausgabe der russischen Verfilmung / Fernsehserie aus dem Jahr 2006 geschenkt bekommen. War ein großer Erfolg in Rußland.

Und wie schon bei „Hundeherz“ stelle ich fest, daß „mein Russisch“ nicht gut genug ist, unvorbereitet diese Serie anzusehen.

Also lese ich das Buch zum zweiten Mal.

Mit Genuß.

Vielleicht bekomme ich jetzt auch endlich heraus, welche Rolle Korovjew spielt, das ist der Mann mit dem karierten Jacket, der hier neben dem Mordskater sitzt.

Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita: Roman
Taschenbuch: 512 Seiten
Verlag: Sammlung Luchterhand (18. April 2006)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3630620930
ISBN-13: 978-3630620930
Originaltitel: Master i Margarita

Schon wieder ein langweiliges Buch

Pawel Sanajew
Pawel Sanajew

in etlichen Rezensionen wurde dieses Buch gelobt.
Ich habe versucht, es wohlwollend zu lesen. Es ist mir nicht gelungen.
Es ist mir nicht gelungen, Verständnis zu finden für diese ewig nölende Großmutter und den passiven, flüchtenden Großvater.
Der altkluge Bub hat es mir eben einfach nicht angetan.

Daß sich zum Schluß alles wenden soll, nun denn.
Ich habe mich abgewandt.

Schade. Gerade der Name der Übersetzerin, Natascha Wodin, ließ mich aufmerksam werden auf dieses Buch. Hat sie doch etliche Bücher geschrieben oder übersetzt, die mir zu bestimmten Zeiten sehr wichtig waren, Nadja, Briefe aus Rußland zum Beispiel.
Bei diesem Buch hat es nicht gereicht.

PS: Diesen Roman fand ich beim Verfassen des Artikels so schlecht, daß ich sogar vergessen hatte, ihn zu nennen ;=)

Pawel Sanajew: Begrabt mich hinter der Fußleiste
Antje Kunstmann Verlag, München 2007
ISBN-10 388897464X
ISBN-13 9783888974649
Gebunden, 238 Seiten, 17,90 EUR

Der dicke Kater Behemoth war nicht mehr da…

nun bin ich in Moskau extra zur Straße der Sovjetischen Armee #13 gegangen und habe mich im Hof umgeschaut, ob ich diese nette Skulptur finde:

Der Kater Behemoth
Der Kater Behemoth

aber die beiden sitzen nicht mehr auf der Bank, sind fortgegangen:

Stromhäuschen mit Gemälde
Stromhäuschen mit Gemälde

war wohl nur eine temporäre Installation. Dafür ist das Stromhäuschen entsprechend illustriert.

Schade. Im August letzten Jahres hatte ich mich schon auf den Besuch gefreut…

„Kritik und Luftblasen“ zur Leipziger Preisverleihung

Im zweiten Teil folgte die Verleihung des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung an Michail Ryklin und Gerd Koenen, sie rettete den Abend. Der Kontrast zum ersten Teil hätte kaum größer sein können. Kerstin Holm, Moskauer Kulturkorrespondentin der FAZ und die Laudatorin, hatte zwar mit Zischlauten und der Mikrofonanlage zu kämpfen, aber inhaltlich waren ihre Ausführungen glasklar. Putin arbeite daran, den russischen Untertanenstaat zu restaurieren. Keime einer Zivilgesellschaft, die in der russischen Gesellschaft in den Neunzigerjahren vorsichtig gesprossen waren, würden nun systematisch wieder zerstört. Liberale Künstler und Intellektuelle würde als leichte Gegner ausgesucht. Kunstausstellungen würden gestört, bedroht, vandalisiert. Insgesamt trage Putins Regime Züge einer Polizeigesellschaft. Sodann warb Kerstin Holm für eine „Kunst der Freundschaft“ zu Russland und für das zivilisatorische Projekt, Europa bis an den Pazifik zu verlängern. Dass das aber nicht geht, wenn man die gegenwärtigen Zustände akzeptiert, machte sie sehr deutlich. Dann redeten die Preisträger.

Ebenso wie Kerstin Holm nahmen sie kein Blatt vor den Mund. Eine Niederlage der kritischen Sprache der zeitgenössischen Kunst in Russland konstatierte Michail Ryklin, der russische Philosoph, der für seinen Essay „Mit dem Recht des Stärkeren. Russische Kultur in Zeiten der gelenkten Demokratie“ (Suhrkamp Verlag) die eine Hälfte des Preises zugesprochen bekommen hatte. Ryklin kam direkt auf den deutschen Exkanzler Gerhard Schröder zu sprechen. Das offene Russland brauche andere Unterstützung als nur funktionierende persönliche Beziehungen zum russischen Präsidenten.

Gerd Koenen, der die zweite Hälfte des Preises für seine große Studie „Der Russland-Komplex“ (Beck Verlag) bekommen hatte, warnte ebenso vor einer unkritischen Freundschaft zu Russland. Er mahnte realistische Beziehungen zu diesem Staat an, gerade auch aus der Erfahrung der deutschen Russlandschwärmerei in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts heraus, die er in seinem Buch beschrieben hatte. Dann erwähnte Koenen Anna Politkowskaja: Der Mord an dieser Journalistin müsse ein Mord zu viel sein, der nicht mehr hingenommen werde.

So vertrauten die Laudatorin und die Preisträger der Macht des Wortes. Danach waren am Mittwoch in den Foyers des Leipziger Gewandhauses die Buffets eröffnet.

Die TAZ berichtet über die Preisverleihung. Und macht klar, wer das Wort hat und wer nur Luftblasen absondert.

Deutsche und Russen
…..Die Zivilgesellschaft, die sich in den Neunzigerjahren scheinbar entwickelt habe, erweise sich nun als ein „Sandkastenspiel auf einer Staatsruine“. Der Staat und zunehmend auch die orthodoxe Kirche nähmen die Gesellschaft in den Griff, Putins „gelenkte Demokratie“ führe nicht in den Westen. Westlich orientierte Kunst stehe unter dem Druck eines klerikalen Fundamentalismus wie seit der Zarenzeit nicht mehr…

…Solche Nüchternheit, welche die „fiktionale Wahrnehmung“ des anderen hinter sich lasse, sei eine mögliche Basis für neue Verständigung, wurde gesagt, um den Abend nicht zu einer Trennungsszene werden zu lassen. Aber das waren die Momente, in denen die intellektuelle Analyse in den Dämmer von Beziehungskrisen-Gesprächen kippte. Was spricht eigentlich gegen „Realpolitik“, die die Dinge nimmt wie sie sind? Warum muss am Ende doch die Utopie eines „Europa bis zum Pazifik“ beschworen werden?…

schreibt abgeklärt die WELT im Kommentar Deutsche und Russen

Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung

dieser wichtige Preis wurde neben Gerd Koenen an Michail Ryklin verliehen.

Beide haben wichtige Bücher über Rußland geschrieben,

Mikhail Ryklin
Mikhail Ryklin

Michail Ryklin den Band „Mit dem Recht des Stärkeren“, der Einblick gibt in die Prozesse, die gerade in Rußland das Rad zurück, hin zum autoritären Staat, drehen. Mich interessiert dieses Buch besonders, da ich einige der darin genannten Personen kenne.

Es geht um die unselige Gerichtsverhandlung anläßlich der Zerstörung einer Kunst-Ausstellung im Moskauer Sakharow-Zentrum, bei der die Vandalen freigesprochen, die Künstler verurteilt und die Volksseele auf den richtigen Kurs gebracht wurde.

Die Laudatio auf die beiden Preisträger hielt Kerstin Holm, die verdiente Moskau-Korrespondentin der FAZ, auch erklärte Liebhaberin zeitgenössischer Musik. Kenntnisreich berichtet sie seit 1991 aus Moskau. Gerade vor drei Wochen saßen wir im gleichen Flieger nach Moskau, im April werden wir sie wieder treffen.

Ein Porträt von Frau Holm findet sich auf den Seiten der Stadt Leipzig, leider mit einem falschen Seitentitel.

Verdienstvoll ist auch, daß die Reden der Preisträger sowie die Laudatio im PDF-Format zum Download bereitstehen:

Gerd Koenen „Mein Russland-Komplex oder: Wir sind Gefangene“

Michail Ryklin, Dankesrede

Kerstin Holm, Laudatio

Ich lege es Ihnen ans Herz, diese Beiträge zu lesen. Leider sind die Artikel nicht mehr online.

Es ist wichtig, daß wir Westler uns klarmachen, was dort geschieht.

Michail Ryklin: Mit dem Recht des Stärkeren. Die russische Kultur in Zeiten der gelenkten Demokratie
Broschiert: 238 Seiten
Verlag: Suhrkamp; Auflage: 1 (23. August 2006)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3518124722
ISBN-13: 978-3518124727
Originaltitel: Svastika, krest i zvezda