Bloomsday? mir reichts …

Dublin Timeich mag nicht mehr und kann nicht mehr. Es ist langweilig.

Nun habe ich von acht Uhr morgens bis 5 Uhr mittags gehört, zum Schluß habe ich nur noch ein Durcheinander-Gequassel  vernommen. Und die Themen interessieren mich nicht.

Erstaunlich. War der Bloomsday bis dato immer ein Ereignis für Leser, ist er jetzt ein Event. Welch ein Hype. Auf allen Kanälen, in vielen Blogs, und wenn da auch über Shakespeare disputiert wird, dann erinnere ich daran, daß

Much Ado about Nothing

auch von Herrn Shakespeare stammt. Und damit höre ich auf. Bereite mich vor auf ein angenehmes Abendessen in Ruhe.

ReJoyce! Am Bloomsday, heute, 16. Juni 2012

James Joyce in DublinAm 16. Juni 1904 flanierte Leopold Bloom durch Dublin und James Joyce folgte ihm und schrieb  Ulysses, ein Buch, das eher zu hören denn zu lesen sei, wie Samuel Becket meinte.

Wir Leser heute haben die Auswahl: wir können das Buch in der grandiosen Übersetzung von Hans Wollschläger(bei Suhrkamp erschienen) kaufen, wir können die EBook-Ausgabe für den Kindle bei Amazon oder bei gutenberg.org  herunterladen, oder wir können dem Rate Beckets folgen und dieses Buch hören.

Dazu gibt es gerade jede Gelegenheit, und deshalb bin ich auch früh aufgestanden heute.

Ich liste mal die Großereignisse auf:

Kulturradio vom rbb sendet seit Mitte April den Ulysses in 80 Folgen. Auf der verlinkten Seite finden sich auch gute Informationen zu dem Werk.

Am 15.06. sendete der rbb das Hörspiel Anna Livia Plurabelle von Hörspiel von Grace Yoon nach James Joyce „Finnegans Wake“, ich habe aber, obwohl im Nachspann angekündigt, das Werk nicht in der Mediathek gefunden.

Aber heute, am Bloomsday, wird der Ulysses in 22 Stunden gesendet. SWR2 und andere Sender übertragen ab 8:00 Uhr 22 Stunden lang den Spaziergang durch Dublin.  Auf der Webseite kann man auf einer Karte den Weg durch die Stadt verfolgen.

Ab 18:05 beim WDR 3 dann, nicht ganz so lang, nur 8 Stunden,  die Dubliners als Hörspiel .

Wer  nicht alleine hören mag, denn heute ist Kultur ja oft eher Event denn Essenz, kann sich auch zu den Public  oder Private Listening Parties gesellen, die in Baden-Baden oder Berlin veranstaltet werden, an anderen Orten sicherlich auch.

Ich nehme mir  die Sendungen auf, Platz ist auf der Festplatte, damit ich das, was ich durch die Unterbrechungen des Tagewerkes versäume, oder das Parallel-Gesendete nachhören kann, nicht als Private Listening, sondern einfach zu Hause.

Das Photo rechts: By Toniher (Own work) [CC-BY-SA-2.5], via Wikimedia Commons

 

Alexandrov, das Museum der Anastasia und Marina Svetaeva

100km nordöstlich von Moskau im Oblast Vladimir liegt die kleine Stadt Alexandrov. Größtes Ereignis in der Geschichte dieses Ortes war sicherlich die Entscheidung des Zaren Iwan des Schrecklichen, Alexandrov 1564 zu seiner Hauptstadt zu erheben. 17 Jahre regierte er hier, danach fiel die Stadt in die Bedeutungslosigkeit zurück, bis Mitte des 17. Jahrhunderts im alten Kreml ein Frauenkloster errichtet wurde und der Kreml weiter ausgebaut wurde.

Heute unterscheidet sich das kleine Städtchen nicht von anderen russischen Provinzstädtchen, dem gut erhaltenen und gepflegten Kreml liegt die wenig aufregende arme Kleinstadt gegenüber.  Zu Beginn des 20. Jahrhunderts lebte hier Anastisia Svetaeva, die letzte Dichterin des Silbernen Zeitalters der russischen Lyrik. Ihre Schwester Marina Svetaeva besuchte sie in den Jahren 1015 bis 1917 oft und verbrachte hier viel Zeit. Hier empfing sie Ossip Mandelstam und verfaßte ihre Gedichte an Alexander Blok. Es waren die letzten glücklichen Jahre ihres Lebens, wie Lev Gotthelf, der Kurator, anmerkte.

Das Literatisch-Künstlerische Museum der Marina und Anastasia Svetaeva legt Zeugnis ab von dieser Zeit. Es ist untergebracht im Nachbarhaus des von den Schwestern und ihren Familien bewohnten Holzhauses. Beide Isba bilden eine trutzige Einheit vor den einfachen Wohnblöcken des 20. Jahrhunderts.

Das Museum wird gehütet und gepflegt von Enthusiasten, mit wenig Geld und wenig Ausstellungsmaterial (denn es gibt wenig authentisches Material) wurde ein „metaphorisches Museum“ errichtet, das einen Eindruck von der damaligen Lebenswelt gibt, mittels alter Photographien den Blick auf die Stadt rekonstruiert; sogar einen Bach gibt es in diesem Raum.

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In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erhielt der Ort eine weitere, kulturgeschichtliche Bedeutung. Da der Ort 100 km von Moskau entfernt liegt, konnten sich hier viele Rückkehrer aus den Lagern des Stalinismus, die sich der Hauptstadt nur bis 100 km nähern durften, niederlassen. Über ihr, oft sehr armes, Leben kann man sich im Museum des 101. Kilometers, das in einem ehemaligen Marstall neben dem Svetaeva-Museum untergebracht ist, informieren.

Museum des 101. Kilometers, Alexandrov

Dieses Museum ist einer der wenigen Orte, an dem den Opfern der Gewaltherrschaft gedacht wird und ihr kulturelles Erbe gewürdigt wird.

Heute bietet es den Rahmen für Kammerkonzerte und kulturelle Veranstaltungen, die wiederum mit magerstem Budget, aber umso größerem Engagement ermöglicht werden.

Selten war ich so beeindruckt. Ich danke Lev Gotthelf und seinen Organisatoren für die Einladung nach Alexandrov und die Zeit, die wir dort verbringen konnten.

Welttag des Buches 2012

Welttag des BuchesHeute ist der Welttag des Buches und die Aktion Lesefreunde des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der Stiftung Lesen verteilte im Vorgang jeweils 30 Bücher an 33.333 Lesefreunde. Einer dieser Lesefreunde bin ich.

Nun habe ich heute das Paket mit 30 Exemplaren der "Suite Française" von Irène Némirovsky, abgeholt und werde diese Bücher nach und nach verteilen, verschenken.

Eine Liste möglicher Empfänger habe ich schon erstellt. Erfahrungen mit dem Verschenken habe ich noch keine. Mal sehen.

Heute ist es uns unverständlich, wissen viele von uns nicht aus eigener Erfahrung, wie wichtig Literatur sein kann, wenn sie verboten wird oder Autoren verfolgt werden. Wir Leser wundern uns, daß immer weniger gelesen wird und daß solche Werbe-Aktionen anscheinend notwendig sind. Bücher sind zu oft nur Konsumgut.

Daß aber Bücher zu anderen Zeiten den Menschen Hilfe gaben, ihnen ein Stück Indivídualität und Freiheit gaben, kennen nicht alle von uns.

Das untenstehende Bild habe ich letzte Woche im Museum des 101. Kilometers in Alexandrov in Russland aufgenommen. Es zeigt das Schreibheft der Anastasia Svetaeva, einer Schwester Marina Svetaevas, ebenfalls eine Lyrikerin, man nannte sie auch die letzte Autorin des Silbernen Zeitalters der russischen Poesie.

Anastasia Svetaeva

Über den Besuch in Alexandrov werde ich im nächsten Beitrag berichten.

Lyriktext.de wurde überarbeitet…

Im Mai veranstaltet das Günter-Grass-Haus in Lübeck das Erste Festival der Schweizer Lyrik. Eröffnet wird es am 10. Mai von Felix Philipp Ingold und Raphael Urweider.

Der Link zu dieser Veranstaltung: Günter-Grass-Haus, Lübeck.

Auf dieser Seite wurde die Seite www.lyriktext.de als Ingolds Homepage verlinkt. Das war dann der Anlaß, diese Seite entgültig zu überarbeiten und Ordnung hineinzubringen. Ich hoffe, die Seite gefällt Ihnen. www.lyriktext.de

Als Gruß zu lesen …

Als Gruß zu leseneinen ganz besonderen Zugang zur russischen Lyrik bietet uns Felix Philipp Ingold in der von ihm herausgegebenen (und übersetzten) Anthologie Als Gruß zu lesen. Russische Lyrik von 2000 bis 1800.

Vom Jahr 2000 bis ins Jahr 1800 geht er zurück und stellt jeden Autor mit nur einem Gedicht vor. Aus der Anmerkung Zum Buch:

Wegleitend für die vorliegende Anthologie ist die besondere Prämisse des Herausgebers, jeden Autor mit nur einem Gedicht vorzustellen.

Für diese ungewöhnliche Auswahl, die von der Gegenwart bis in die Zeiten Puschkins zurückreicht, wurden die meisten Kriterien, die eine anthologische Sammlung bestimmen, außer Acht gelassen. Dennoch – und deshalb – ist sie repräsentativ für die russische Lyrik der vergangenen zweihundert Jahre sowohl in Bezug auf ihren Formbestand, die thematische Horizontbreite, die intertextuelle Vernetzung und auch ihre historische Evolution.

Das klingt ungewöhnlich. Und es ist auch ungewöhnlich. Denn noch ein paar Prämissen bestimmten die Auswahl: nicht immer die bekanntesten, die „Meisterwerke“ der Dichter, sondern typische aber vielleicht unbekannte Stücke wurden aufgenommen. Und es wurden auch nicht alle kanonisierten russischen Dichter aufgenommen, viele Unbekannte sind dabei. Mindestens soviel Raum wie die Gedichte nehmen die Kommentare und Erläuterungen ein, die das Gelesene noch vertiefen.

Nach dem Lesen sind sie nicht mehr unbekannt. Die ZEIT hat sich Konstantin Fofanow und seine Elegie (auf die Zigarette) als Gedicht der Woche herausgepickt, daran tat sie gut.

Auch die entgegen jeder „Anthologie-Erwartung“ umgedrehte Zeitlinie, eben nicht von damals auf heute, sondern von heute zurück nach damals, ist reizvoll.

Dieses Buch macht Freude. Es ist schön anzufassen mit seinem grünen Stoff-Einband, den zwei, hellgrünen und dunkelgrünen, Bändchen, es reizt zum Blättern und schweifendem Lesen. EIn Vademecum.

Felix Philipp Ingold: »Als Gruß zu lesen«: Russische Lyrik von 2000 bis 1800,
Verlag: Dörlemann; Auflage: 1., Aufl. (15. März 2012)
532 Seiten
Sprache: Deutsch, Russisch
ISBN-10: 3908777658
ISBN-13: 978-3908777656

Parallele Geschichten

Bevor ich nun versuche, Peter Nadas Parallelgeschichten zu über- und durchleben, liegt mir eine Lese-Erfahrung am Herzen, die ich hier notieren möchte. Iwan Bunin tritt in meinen Horizont.

Iwan Bunin: Liebe und andere UnglücksfälleGut, ich hatte schon die "Briefe an einen unbekannten Freund" gelesen, auch einige verstreute Texte, aber nun hat es eine andere Intensität. Der Band mit Novellen aus den Jahren 1916 bis 1940 (nicht mehr lieferbar, aber zu unschlagbar günstigen Preisen gebraucht zu finden!) beschäftigt mich nun schon einige Wochen. Mehr als eine Erzählung kann ich nicht verarbeiten am Tag, sie sind so konzentriert, dicht, nah, wie soll ich es beschreiben?

Da gibt es den Sonnenstich: eine Frau und ein Mann, die sich auf einem Wolgadampfer kennenlernen, steigen kurzerhand aus und verbringen eine Nacht zusammen in einem Hotel. Sie wissen, daß eine solche Nacht nicht wiederkehren wird, daß sie etwas Einmaliges erlebt haben. Erst fährt sie am nächsten Tag mit dem nächsten Linien-Dampfer weiter, zurück vom Sommer-Urlaub zur Familie, dann er noch einen Tag später.
Eine radikale Geschichte. Die beiden sind sich bewußt, daß diese Nacht ein einmaliges Erlebnis bleibt und kehren in ihre Leben zurück.
EIne Erzählung, so radikal in dieser Zeit wie Anton Tschechows Die Dame mit dem Hündchen: Aber bei Tschechow  brechen sie und er aus ihren schal gewordenen Ehen aus und beginnen ein gemeinsames Leben in Moskau. Aus ihrer Urlaubsaffaire wird ein gemeinsames Leben.
Beide Paare brechen Konventionen und sind sich dessen bewußt. Beide Paare haben etwas Unerhörtes getan.

GelenschikDann die Erzählung "Der Kaukasus": Eine Frau betrügt ihren Mann. Der Erzähler ist ihr Liebhaber. Sie reisen an die Schwarzmeerküste, suchen einen kleinen Ort und verbringen gemeinsame Tage. Ruhig, zufrieden, ohne Frage. Ihr Mann suchte sie in Gelendshik, in Gragra, in Sotschi. Er erschießt sich.

Und bei Tschechow geht der Mann ins Meer, In der Nacht zu Weihnachten, weil er die Enttäuschung seiner Frau, daß er einen Schiffbruch überlebt hat, nicht ertragen kann.

Die Menschen in diesen Erzählungen bestimmen ihr Leben nicht selbst, sie liefern sich der Liebe aus. Und halten ihr stand, mehr oder weniger stark.

Hans Joachim Schädlich: Kokoschkins ReiseIwan Bunin: Cechov. Erinnerungen eines ZeitgenossenDann finde ich zu Hans Joachim Schädlich's Band "Kokoschkins Reise" und auch dort begegnet mir Iwan Bunin. Der Protagonist, Herr Kokoschkin, kennt ihn aus der Zeit des Exils in Odessa, 1920.

Aber dazu in einem weiteren Beitrag.

Und bei einem Freund sehe ich "Cechov. Erinnerungen eines Zeitgenossen", aktuelle Lektüre, zeitweilig beiseitegelegt..

Plötzlich ist Iwan Bunin überall. Ich muß ihn lesen. Wie gut, daß eine Neuausgabe seiner Werke beim Verlag Dörlemann in Arbeit ist.

Iwan Bunin: Liebe und andere Unglücksfälle.
Gebundene Ausgabe: 396 Seiten
Verlag: Eichborn (2004)
ISBN-10:3821847247
ISBN-13: 978-3821847245

Iwan Bunin: Cechov. Erinnerungen eines Zeitgenossen
Gebundene Ausgabe: 298 Seiten
Verlag: Friedenauer Presse; Auflage: 1 (2004)
ISBN-10: 3932109384
ISBN-13: 978-3932109386