Kleiner Versuch über Rußlands große Natur

Felix Philipp Ingold schreibt im aktuellen Themenheft „Natur“ der österreichischen Literaturzeitschrift „Wespennest„.
Er schreibt über seine erste Reise im Wagen nach Rußland 1966 und seine Erfahrungen der russischen Weite.

Was mir … schon bald nach Warschau auffiel, war die allmählich sich ausdehnende Horizontbreite, die sich beim Grenzübertritt in die Sowjetunion rasch zum Kreis rundet und dann über Hunderte von Kilometern tatsächlich zu umfassen scheint. Noch nie war ich auf einer so großen Distanz stetig zum Horizont hin unterwegs über gewesen, zu einer Linie ohne erkennbaren Fluchtpunkt, die sich beim Blick nach links wie nach rechts endlos verlängerte.

WeiteInmitten dieser Weite zu stehen, war jedoch keines gleichbedeutend mit der Gewissheit oder auch bloß dem Gefühl in der Mitte zu sein, und erstmals wurde mir in jenen Momenten klar, dass es in einer Welt ohne Maß, ohne Vergleich, ohne Begrenzung eine Mitte gar nicht geben kann, es sei denn, ich selbst würde zu dieser Mitte, indem ich mich zum einzigen, mithin zum absoluten Maß dieser Welt mache.

Wer das Heft nicht zur Hand hat, findet hier eine Leseprobe auf der Verlagsseite. Und mag, wie ich auch, versuchen auch nur eine kleine Ahnung dieser Verlorenheit, Raumlosigkeit und Grenzenlosigkeit zu erhaschen.