Göttinger Tageblatt, 12. April 2000:

Stehen ist ein schwieriger Akt

Japanischer Butoh-Tanz, europäischen Ausdruckstanz und Jazz verbindet der Tänzer Tadashi Endo in seinem Projekt 'Shinkirou'. Am Mittwoch und Donnerstag, 12. und 13. April, ist es ab 20:00 im Jungen Theater Göttingen zu sehen. Tageblatt-Mitarbeiter Udo Hinz hat mit dem Tänzer gesprochen.

Tageblatt:
Die Tanzperformance trägt den Titel "Shinkirou". Was verbirgt sich dahinter?

Endo: "Shinkirou" bedeutet auf Japanisch "Fata Morgana". Es hat aber nichts mit dem Trugbild, das man in der Wüste sieht, zu tun. Gemeint ist eine Rückblemd verschwommener innerer Bilder von eigenen Erlebnissen, die man lange in sich getragen hat. Mir geht es aber keinesfalls um eine intellektuelle Analyse, sondern vielmehr um den Gemütszustand.

Tageblatt:
Bei dem Projekt ist die in Konstanz lebende Tänzerin Inge Mißmahl beteiligt. Was ist der Unterschied zwischen japanischem Butoh und europäischem Ausdruckstanz?

Endo:
Das europäische klassische Ballet beginnt, wenn der Mensch steht. Es gibt raumfüllende Bewegungen, Schwerelosigkeit und Leichtigkeit. Butoh beginnt, bevor der Mensch stehen kann. Deshalb kommen oft embryonale. fast schon animalische Haltungen vor. Das Stehen und Gehen ist ein schwieriger Akt. Diese Entwicklungsprozesse sind beim Butoh unheimlich wichtig. Und die Japaner lieben das Einfachheit. Unnötige Bewegungen werden reduziert. Das hat etwas mit dem Zen-Buddhismus zu tun.

Tageblatt:
Gelingt es Ihnen immer, beim Tanzen die Gedanken auszuschalten?

Endo:
Wenn ich tanze, denke ich größtenteils gar nicht. Ich weiß noch nicht mal im selben Moment, wie ich getanzt habe. Für Sekunden komme ich in einen Zustand der Trance. In solchen Momenten tanze ich überhaupt nicht, sondern ich werde getanzt. Irgendwas kommt in mich hinein und bewegt sich in meinem Körper.

Tageblatt:
Im Jungen Theater wird auch der Schweizer Jazzsaxophonist Urs Leimgruber mit wirken. Wo haben Sie ihn kennengelernt?

Endo:
Mit ihm habe ich das erste Mal im letzten Jahr in Hannover getanzt. Ich fand die Arbeit mit Urs völlig zwanglos und absolut natürlich. Kurz danach haben wir eine Tour durch die Schweiz gemacht. Da habe ich gemerkt, daß er sehr intensiv arbeitet, ohne nach außen zu zeigen, was er kann. Er ist vielmehr auf der Suche nach etwas. Wenn er Saxophon spielt, klingt es für mich manchmal wie eine japanische Bambusflöte.

Tageblatt:
Sie arbeiten schon lange mit Jazzmusikern zusammen. Wie kam es dazu?

Endo:
1982 war ich auf das New-Jazz-Festival in Moers eingeladen. Dort bin ich eher zufällig mit dem japanischen Jazzpianisten Masahiko Satoh aufgetreten. Ich wußte überhaupt nicht, wie er spielt, und er wußte nicht, wie ich tanze. Wir haben also einfach improvisiert. Dabei hatte ich das Gefühl, als ob ich gefunden hätte, wonach ich gesucht habe. Später trat ich dann viel mit Free-Jazz-Musikern aus der DDR oder mit Steve Lacy, Peter Kowald und Aki Takase auf.

Tageblatt:
Was ist das Besondere an der Zusammenarbeit mit Jazzmusikern?

Endo:
Es ist wie in einem Boxkampf. Du weißt nie, welcher Schlag als nächstes kommt. Wenn du schon ahnen kannst, was kommt, wird es langweilig.

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