Nah am Leben

Anton Chechov
Anton Chechov

Vor rund 30 Jahren erzählte mir eine türkische Freundin, wie sie ihre Familie austrickste, als diese sie mit einem ihr unbekannten und nicht genehmen jungen Mann verheiraten wollte.

Sie kleidete sich in Dienstbotenkleidung und öffnete dem Besuch beim Antrittsbesuch die Tür. Als sie dann später zur Familie dazukam, war der geplante Verlauf des Tages und des späteren Lebens unmöglich.

Nun lese ich genau diese Geschichte bei Chechov in den Humoresken und Satiren, frühen Stücken und frage mich

  • ob Chechov so nah am Leben war
  • ob das Leben immer noch so stattfindet
  • oder ob meine Freundin in Istanbul in ihrer Schulzeit am österreichischen Gymnasium Chechov gelesen hat und diese Geschichte dann nacherfunden oder nachempfunden hat?

Frecher Kritiker

Anton Chechov
Anton Chechov

Dass die hoch gebildeten Slawisten vertraute Gestalten unserer Kulturwelt wie Tschaikowsky als Ćajkovskij oder Tschechow als Ćechov entfremden und, wie ich leidvoll erfahre, junge Menschen vom Gang in die Buchhandlung abhalten (Pisa überall), möchte ich nicht verschweigen. Schlimmer: Die Deutsche Grammophon hält es nicht für nötig, den großen Übersetzer und Entdecker für Deutschland, Peter Urban, überhaupt zu erwähnen. Dabei verdanken wir ihm die größte nichtrussische Tschechow-Ausgabe. Keine Auskunft auf der Verpackung. Keine auf einer CD. Gerade mal eine Halbzeile im Booklet. Dort wird der Sprecher, Frank Arnold, mit 27 Vollzeilen vorgestellt, Tschechow mit 17, Urban mit sieben Halbzeilen. Die Mitübersetzerin Beate Rausch ist der deutschen Grammophon keinen Buchstaben wert. So ist auch diese schöne Hörbuch-Edition ein weiteres Zeugnis für die Kulturverachtung unseres geldgierigen Landes.

Rolf Michaelis in der Frühjahrsliteraturbeilage der ZEIT, März 2004

Anton Cechov: Ein unnötiger Sieg, 7 Audio-CDs
Audio CD
Verlag: Universal Music; Auflage: 1 (2003)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3829113382
ISBN-13: 978-3829113380

zu Herzen gehend, zu Tränen rührend

Anton Cechov
Anton Cechov

das klingt kitschig, pathetisch, ist ganz schlecht, wollen wir nichts mit zu tun haben

ist aber so.

Morgens bin ich mit verkrusteten Augen aufgewacht und als ich in der Erinnerung suchte was mich zum Weinen brachte, wieder Tränen.

„In der Nacht zu Weihnachten“ von Anton Tschechow ist der Grund für meine Trauer.

Eine Frau hofft, daß ihr Mann, den sie nicht liebt, ertrunken ist, er ist es aber nicht. Als er ihren Schmerz erkennt, nun nicht endlich als Witwe ein freies Leben führen zu können, fährt er mit dem Schiff in die Winternacht, den Wintersturm, dem Tod entgegen, hinaus.

Bis zum Morgen stand die bleiche Frau am Ufer des Meeres. Als man sie, halb erfroren und entkräftet von moralischer Qual, nach Hause trug und ins Bett legte, fuhren ihre Lippen noch immer fort zu flüstern: „Komm zurück!“

In der Nacht auf Weihnachten hatte sie ihren Mann lieben gelernt.

Anton Cechov: Er und sie
Frühe Erzählungen
1880 – 1885
Übersetzt und herausgegeben von Peter Urban
Gebundene Ausgabe: 608 Seiten
Verlag: Diogenes; Auflage: 2., Aufl. (November 2002)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3257063210
ISBN-13: 978-3257063219

Ein Versprechen

Der Sommer beginnt und das Leben ändert sich.

aus:

Anton Cechov
Anton Cechov
Eine langweilige Geschichte

Aus den Aufzeichnungen eines alten Mannes.
Kapitel IV, Seite 23

in:
Anton Tschechow: Das Duell
und andere Erzählungen
mit einem Essay von Thomas Mann
Büchergilde Gutenberg, Frankfurt am Main, 1958
übersetzt von Johannes von Guenther