Als Gruß zu lesen …

Als Gruß zu leseneinen ganz besonderen Zugang zur russischen Lyrik bietet uns Felix Philipp Ingold in der von ihm herausgegebenen (und übersetzten) Anthologie Als Gruß zu lesen. Russische Lyrik von 2000 bis 1800.

Vom Jahr 2000 bis ins Jahr 1800 geht er zurück und stellt jeden Autor mit nur einem Gedicht vor. Aus der Anmerkung Zum Buch:

Wegleitend für die vorliegende Anthologie ist die besondere Prämisse des Herausgebers, jeden Autor mit nur einem Gedicht vorzustellen.

Für diese ungewöhnliche Auswahl, die von der Gegenwart bis in die Zeiten Puschkins zurückreicht, wurden die meisten Kriterien, die eine anthologische Sammlung bestimmen, außer Acht gelassen. Dennoch – und deshalb – ist sie repräsentativ für die russische Lyrik der vergangenen zweihundert Jahre sowohl in Bezug auf ihren Formbestand, die thematische Horizontbreite, die intertextuelle Vernetzung und auch ihre historische Evolution.

Das klingt ungewöhnlich. Und es ist auch ungewöhnlich. Denn noch ein paar Prämissen bestimmten die Auswahl: nicht immer die bekanntesten, die „Meisterwerke“ der Dichter, sondern typische aber vielleicht unbekannte Stücke wurden aufgenommen. Und es wurden auch nicht alle kanonisierten russischen Dichter aufgenommen, viele Unbekannte sind dabei. Mindestens soviel Raum wie die Gedichte nehmen die Kommentare und Erläuterungen ein, die das Gelesene noch vertiefen.

Nach dem Lesen sind sie nicht mehr unbekannt. Die ZEIT hat sich Konstantin Fofanow und seine Elegie (auf die Zigarette) als Gedicht der Woche herausgepickt, daran tat sie gut.

Auch die entgegen jeder „Anthologie-Erwartung“ umgedrehte Zeitlinie, eben nicht von damals auf heute, sondern von heute zurück nach damals, ist reizvoll.

Dieses Buch macht Freude. Es ist schön anzufassen mit seinem grünen Stoff-Einband, den zwei, hellgrünen und dunkelgrünen, Bändchen, es reizt zum Blättern und schweifendem Lesen. EIn Vademecum.

Felix Philipp Ingold: »Als Gruß zu lesen«: Russische Lyrik von 2000 bis 1800,
Verlag: Dörlemann; Auflage: 1., Aufl. (15. März 2012)
532 Seiten
Sprache: Deutsch, Russisch
ISBN-10: 3908777658
ISBN-13: 978-3908777656

Ich mag das Buch nicht,

hatte ich über Alias oder Das wahre Leben geschrieben und es ist selten, daß ich negativ über eine Arbeit von Felix Philipp Ingold urteile.

Warum mag ich das Buch nicht? Darüber habe ich lange nachgedacht. Es ist nicht das Buch, es ist das Leben, es ist die Geschichte, die das Leben der Menschen so bestimmt, so herumwirft, das die Menschen so grausam behandelt.

Das mag ich  nicht.

Alias? Das wahre Leben?

Felix Philipp Ingold: AliasIch habe das Buch Alias von Felix Philipp Ingold gelesen.

Es berichtet über einen Menschen, einen Russen im 20. Jahrhundert, im europäischen Jahrhundert, von den ersten Fronterfahrungen bis zu seinem Tode, ironischerweise in dem KZ, das er einst als russischer Offizier zwar nicht befreite,  in dem er aber nach der Befreiung Wiens als Dolmetscher arbeitete. Als Erfolgsautor im stalinistischen Rußland. Als Lager-Insasse.  Als Wolgadeutscher nach einer Odyssee über Israel nach Radolfszell. Als Rentner mit einer zu  jungen Frau.

Es gibt keine Existenz „per se“. Jeder Mensch hat einen oder mehrere „Aliase“ im Laufe des Lebens. Das 20te Jahrhundert treibt die Menschen vor sich her, von einer Identität in eine andere.

Und den literarischen Erzähler von einer Form in die andere. Ingolds Passion für die Autorschaft, das Spiel des Auktorialen, hier lebt er es aus. Er bringt sich selbst ins Spiel, läßt sich das Leben des Protagonisten erzählen (in dessen „Dissidenz-Phase“ in Leningrad) und als Besucher am Bodensee, spielt Erzählformen von der Novelle bis zur Romanze durch. Streut Poetisches ein, rückt die Texte aus, fügt dem Buch ein Photo-Album an.

Aber auch dieses Album bringt uns den Protagonisten nicht näher, bei all dem Leben lebt er kein Leben. So unglaubhaft wie die „amour fou“ zu der jungen Frau am Ende seines Lebens ist sein ganzes Leben. Aber ist es sein Leben? Hat es ihn gegeben? Wer ist Begerow / Bergson / Berger? Gab es ihn? Führt uns der zweite Teil des Buchtitels „oder das wahre Leben“ in die Irre? Oder auf die Fährte?

Kann es in einem solchen Leben Identität geben? Ist Identität ein Vexierbild aus den brutalen Details des 20. Jahrhunderts? Ist das Leben immer das andere?

Ich weiß es nicht. Ich mag dieses Buch nicht. Es gibt mir keine Hauptfigur zur Identifikation, es gibt mir keine Handreichung, mich „beim Lesen“ einzurichten, keine Gewißheit.

Und das ist das Gute an diesem Buch.

Felix Philipp Ingold: Alias: oder Das wahre Leben
Gebundene Ausgabe: 330 Seiten
Verlag: Matthes & Seitz Berlin; Auflage: 1 (8. September 2011)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3882215534
ISBN-13: 978-3882215533

»Als Gruß zu lesen«: Russische Lyrik von 2000 bis 1800

Als Gruß zu lesenwiedereinmal überrascht Felix Philipp Ingold.
Er dreht die Zeit um.
Und schert sich auch nicht um „anthologische Gewohnheiten“.

Jeder Autor wird mit einem Gedicht vorgestellt, auf einer Doppelseite das Original und die Übersetzung.

Auch bisher unbekannte Lyrikerinnen, bisher unübersetzte Gedichte sind in diese Sammlung eingegangen.

So fühle ich mich gegrüßt von mir unbekannten und bekannten Autoren.

 

Felix Philipp Ingold:
»Als Gruß zu lesen«: Russische Lyrik von 2000 bis 1800

Gebundene Ausgabe: 400 Seiten
Verlag: Dörlemann; Auflage: 1., Aufl. (18. September 2011)
Sprache: Russisch, Deutsch
ISBN-10: 3908777658
ISBN-13: 978-3908777656

 

Kleiner Versuch über Rußlands große Natur

Felix Philipp Ingold schreibt im aktuellen Themenheft „Natur“ der österreichischen Literaturzeitschrift „Wespennest„.
Er schreibt über seine erste Reise im Wagen nach Rußland 1966 und seine Erfahrungen der russischen Weite.

Was mir … schon bald nach Warschau auffiel, war die allmählich sich ausdehnende Horizontbreite, die sich beim Grenzübertritt in die Sowjetunion rasch zum Kreis rundet und dann über Hunderte von Kilometern tatsächlich zu umfassen scheint. Noch nie war ich auf einer so großen Distanz stetig zum Horizont hin unterwegs über gewesen, zu einer Linie ohne erkennbaren Fluchtpunkt, die sich beim Blick nach links wie nach rechts endlos verlängerte.

WeiteInmitten dieser Weite zu stehen, war jedoch keines gleichbedeutend mit der Gewissheit oder auch bloß dem Gefühl in der Mitte zu sein, und erstmals wurde mir in jenen Momenten klar, dass es in einer Welt ohne Maß, ohne Vergleich, ohne Begrenzung eine Mitte gar nicht geben kann, es sei denn, ich selbst würde zu dieser Mitte, indem ich mich zum einzigen, mithin zum absoluten Maß dieser Welt mache.

Wer das Heft nicht zur Hand hat, findet hier eine Leseprobe auf der Verlagsseite. Und mag, wie ich auch, versuchen auch nur eine kleine Ahnung dieser Verlorenheit, Raumlosigkeit und Grenzenlosigkeit zu erhaschen.

 

Gabe gegen Gabe.

Felix Philipp Ingold
Felix Philipp Ingold

Gegengabe ist ein gewichtiges Werk von Felix Philipp Ingold.

Ein Gedichtband, mit dem ich nie fertig bin. Immer wieder finde ich etwas. Immer wieder bin ich gebannt.

Ein Satz springt ins Auge. Setzt sich fest.

Immer wieder ein anderer. Und immer bereichert es den Tag.

Das ist meine Leseerfahrung.

Wolfram Malte Fues geht anders an dieses große Buch heran. Er fragt, wie ein Dichter arbeitet in seinem Essay: Gabe gegen Gabe. Felix Philipp Ingolds Lyrik der Moderne

Wo und wie arbeitet der Lyriker Felix Philipp Ingold?
„Der öffentliche Raum ist der Resonanzraum, aus dem ich die ersten noch unverbundenen Daten für mein Schreiben gewinne. Die Verbindung und Entfaltung von alltäglichen Klangereignissen zu einem Text, in dem Wörter und Laute enggeführt und immer wieder neu zum Sprechen gebracht  werden, ist das, was ich unter Dichtung verstehe und als Dichtung praktiziere.“

So beginnt der Essay. Lesen Sie weiter!

Alias – oder das wahre Leben

Felix Philipp Ingold: Alias

 

Der Sommer ist noch nicht da, aber Bücherankündigungen machen mich ungeduldig, und jetzt habe ich einen Grund, mich auf den Spätsommer zu freuen: Felix Philipp Ingolds neues Buch Alias wird im August erscheinen.

So habe ich jetzt die Vorankündigung erhalten, Alias oder das wahre Leben wird es heißen, und schon ein Satz aus einem Textausschnitt zeigt den Meister:

Das Gewesene verschwindet im Gewordenen.

Was fängt man mit der Hinterlassenschaft eines verstorbenen Freundes an – mit Papieren, Bilddokumenten, Erinnerungen, unbeantworteten Fragen? In der suchenden, tastenden, aber auch entwerfenden Lebensbeschreibung des wolgadeutschen Kirill Beregow alias Carl Berger entwirrt Felix Philipp Ingold eine weitläufige, halb Europa und ein halbes Jahrhundert durchmessende Existenz, die bei all ihren Verwerfungen und Brüchen kaum noch auf den Punkt zu bringen ist. Doch wessen Geschichte wird da erzählt? Ist es das Leben des Freundes oder ist es das Bild, das sich der Erzähler vom Freund nachträglich zu machen versucht? Eine ungewöhnl iche Panoramafahrt durch ein halbes Jahrhundert dramatischer Geschichte und ein »wahres Leben« voller Turbulenzen, unsäglicher Leiden und unvergleichlicher Glücksmomente.

So heißt es in der Ankündigung. Mehr kann ich gar nicht dazu schreiben, meine Neugier wächst. Einen ersten Eindruck gibt die Hörprobe auf der Verlagsseite.

Felix Philipp Ingold
Alias
oder Das wahre Leben
Mit zahlreichen Abbildungen
336 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag
ISBN 978-3-88221-553-3
€ 19,90 / CHF 28,90
Matthes & Seitz Berlin