Meistererzählungen

Stefan Zweig
Stefan Zweig

Durch ununterbrochenes Hin- und Herreisen, ständig zwischen Hamburg, Frankfurt und Heidelberg unterwegs, ohne Ruhepausen, emotionalen Ausgleich und immer unter hohem Erwartungsdruck der Kunden habe ich den Faden verloren.

Keinen Roman konnte ich lesen in den letzten Wochen, Konzentration war mir beim Lesen nicht möglich. Auch war immer das falsche Buch im Koffer, und das eigene Bücherregal so weit entfernt. Also las ich nicht.

Dann aber im Heidelberger Bahnhofsbuchladen dieses Buch. Stefan Zweig ist mir natürlich kein Fremder, auch wenn ich die Schachnovelle nicht in der Schule gelesen habe. Und so nahm ich mir das Buch.

Fühlte ich mich in den letzten Monaten durch meine Arbeitsreisen vom Leben abgeschnitten, so brachte mich Zweig wieder ins Leben zurück. Sei es die sprachlose Entwurzelung des verirrten Soldaten in Episode am Genfer See oder die gewaltige emotionale Eruption in Der Amokläufer. Die Menschen in diesen Episoden sind aus den ihnen Sicherheit gebenden Verhältnissen gerissen und nun haben sie kein emotionales Vokabular mehr, sie werden getrieben und sie treiben in die Vernichtung, in die eigene oder in die Vernichtung anderer.
Dies klingt spektakulär. „Der Amokläufer“ ist auch spektakulär, die „Episode am Genfer See“ ist es nicht. Sie ist still.

Dem Autor wird sehr oft eine Eleganz zugesprochen. Das ist es nicht. Er kennt die Menschen, ihre Hilflosigkeiten, ihre Beschränkungen und er konfrontiert uns mit diesen Menschen.
Die Zeit, in der diese Menschen leben, ist nicht unsere. Aber ihre Seele ist auch unsere. Ihre Schwäche ist auch unsere. Ihre Wünsche ebenfalls.

Klingt das jetzt zu pathetisch? Ist es nicht. Ist das Eleganz? In klarer unsentimentaler Sprache werden wir den großen menschlichen Katastrophen ausgesetzt. Das ist Literatur.

Ganz große Literatur und ganz nahe bei uns.

Stefan Zweig: Meistererzählungen
Gebundene Ausgabe: 490 Seiten
Verlag: Fischer (S.), Frankfurt; Auflage: 1 (August 2006)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3103970226
ISBN-13: 978-3103970227

Nocheinmal Schlink

Bernhard Schlink
Bernhard Schlink

Beim Vorleser fesselte die präzise, hermetische Konstruktion der Geschichte, bei anderen Texten Schlinks wirkt es gezwungen:

Ob es der Witwer ist, der sich dem Liebhaber seiner verstorbenen Ehefrau als Geliebte schriftlich ausgibt, die Ost- und West-Berliner Freundschaft, die unter IM-Verdacht fast zerbricht und dann doch weitermacht, ich fühle mich beim Lesen vorgeführt.

Starkes Kalkül macht den Plot nicht besser.

Nun verstehe ich auch das Zögern meiner Buchhändlerin, als sie meinte, ich bräuchte nur den Vorleser lesen, die anderen Bücher…

Bernhard Schlink: Liebesfluchten (Diogenes Taschenbuch)
Taschenbuch: 307 Seiten
Verlag: Diogenes Verlag; Auflage: 12., Aufl. (November 2001)
ISBN-10: 3257232993
ISBN-13: 978-3257232998

Das Wilde und die Ordnung

Peter von Matt
Peter von Matt

Peter von Matt: Das Wilde und die Ordnung. Zur deutschen Literatur ist ein wunderbares Buch.

Der Schweizer Literaturwissenschaftler schreibt über die deutsche Literatur, wie ich es selten gelesen habe: kenntnisreich, anregend, humorvoll, abenteuerlich …

Und wie er sich mit Georg Christoph Lichtenberg auseinandersetzt, dem alten Zausel Aufmerksamkeit schenkt, Fehlurteile über ihn zurechtrückt, das hat mir sehr gefallen.

Peter von Matt: Das Wilde und die Ordnung: Zur deutschen Literatur
Gebundene Ausgabe: 292 Seiten
Verlag: Hanser; Auflage: 1 (Februar 2007)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3446208402
ISBN-13: 978-3446208407

Celestino Piatti

starb. Er wurde 85 Jahre alt.

Celestino Piatti
Celestino Piatti
Celestino Piatti
Celestino Piatti
Er hat Tausende von Titelbildern des dtv, des Deutschen Taschenbuchverlags gestaltet.

Er hat mit seinem prägnanten Stil, wenige Farben, schwarze Konturen, immer den Charakter des jeweiligen Buches getroffen. So daß ich mich oft fragte, ob er denn immer alle diese Bücher auch selbst gelesen habe. Die von ihm gestalteten Titelbilder sind einzigartig, sofort identifizierbar.

Er begleitete mich während meiner literarischen Sozialisation, oft entschied schon die Anmutung seines Titelbildes, ob ich ein Buch lesen wollte oder nicht.
Seine Illustrationen sind Teil meines visuellen Bestandes, wenn ich so sagen darf.

Daß ich hier ausgerechnet 2 Cover von Grass-Bänden einbinde, ist nicht ganz Zufall. „Katz und Maus“ habe ich in meiner Examensarbeit in Germanistik / Literaturwissenschaft zum Thema gemacht, aber soweit ich erinnere stammte das damalige Buch aus dem rororo-Verlag und hatte demgemäß nicht das hier gezeigte Cover.

Sehe ich die heutigen Umschläge der dtv-Bücher, so sehe ich heute ein wesentlich niedrigeres Niveau als es Piatti hielt.

Als vor ein paar Jahren eines meiner Photos es auf das Titelbild des Bandes „Die roten Handschuhe“ von Eginald Schlattner schaffte, war ich stolz, ein Bild im „Verlag Celestino Piattis“ zu haben.

Und wie wunderbar klingt dieser Name! Celestino Piatti!

Mörgenröte…

Friedrich Nietzsche
Friedrich Nietzsche

Im Billigflieger von der Arbeit nach Hause Basel => Hamburg fliegen und so müde sein, daß auch das wunderbare Abendrot nicht erinnert und so bleibt die „Morgenröte“ von Nietzsche im Flieger liegen…

ist schon absurd..

EasyJet und Gedanken über die moralischen Vorurteile

Friedrich Nietzsche: Morgenröte. Gedanken über die moralischen Vorurteile.
Taschenbuch: 319 Seiten
Verlag: Insel, Frankfurt; Auflage: 6., Aufl. (3. Mai 2007)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3458323783
ISBN-13: 978-3458323785

Leskow besticht

immer wieder durch seine klare Sprache und die genaue Beschreibung von „Typen„, denn so gut wie er „sein Rußland“ kannte, so gut kannte er die Menschen.

Nikolai Lesskow
Nikolai Lesskow

Und konnte so klare und reduzierte Erzählungen schreiben, die auf die Menschen zeigen.

So habe ich nun „Seliwan der Waldschreck“ gelesen. Natürlich ist die Moral klar: verblendete Menschen werden durch den verfemten Sonderling geläutert.

Aber ich fühle mich eben auch geläutert nach dieser Lektüre.

Nikolai Lesskow: Seliwan der Waldschreck

Pappband: 67 Seiten

Verlag: Piper (1952)

Sprache: Deutsch

ASIN: B0000BKY7P