Thema-Wechsel

sich dahintreiben zu lassen… eigentlich wollte ich „Vom Umgang mit den Menschen “ des Freiherrn Knigge lesen, fand es nicht im Regal, fand es aber im Projekt Gutenberg, wollte das Werk aber nicht online lesen, wechselte dann auf nicht mehr nachvollziehbare Weise zu den Sudelbüchern Lichtenbergs über und las mich dann fest.

Heutzutage haben wir schon Bücher von Büchern und Beschreibungen von Beschreibungen.
Lichtenberg: Aus den »Sudelbüchern«], S. 123. Digitale Bibliothek Sonderband: Meisterwerke deutscher Dichter und Denker, S. 31884 (vgl. Lichtenberg-SuB Bd. 1, S. 261)]

W.G.Sebald und Jan Peter Tripp: Unerzählt. 33 Miniaturen und 33 Radierungen.

W. G. Sebald

Schade. Dieses Buch hat gute Kritiken. Aber keine guten Kritiker.

Niemand hat bemerkt, daß die Idee, 33 Radierungen / Augenpaare mit 33 kurzen Texten von W.G. Sebald nicht stimmt. Da kommt nichts zusammen. Ein Gespräch, ein Blickwechsel ist geplant.

Aber es geht nicht. Die Radierungen sind zu schlecht, die Texte zu gut. Vielleicht hat W.G.Sebald seinem Freund einen Freundschaftsdienst erweisen wollen? Dann war es in meine Augen ein Bärendienst.

Oder ist es so schlecht, weil W.G. Sebald nicht mehr lebte, als das Buch fertiggestellt wurde?

Wie dem auch sei. Es gibt so gute Bücher von W.G.Sebald. Dieses gehört nicht dazu.


W. G. Sebald, der 2001 verstorbene Schriftsteller, war ein lebenslanger Bewunderer des hyperrealistischen Malers und Radierers Jan Peter Tripp, über dessen Arbeiten er mehrere Essays geschrieben hat. Ihr erstes gemeinsam geplantes Buch erscheint als eine Art Vermächtnis einer langen Künstlerfreundschaft: 33 Augenpaare und 33 kurze Texte. Bilder und Texte sollen einander nicht erläutern oder gar illustrieren, sondern, wie Andrea Koehler schreibt, „in ein Gespräch eintreten“, in einen „fortdauernden Blickwechsel“.
Ein Buch für alle Leser von W. G. Sebald und alle Bewunderer der hohen Kunst Jan Peter Tripps.


Zitate aus der Amazon-Seite


Unerzählt: 33 Miniaturen und 33 Radierungen
von W. Sebald, J. Tripp
Gebundene Ausgabe – 72 Seiten – Hanser
Erscheinungsdatum: März 2003
ISBN: 3446202579

warum ich russische Gegenwartsliteratur lese

Man sagt heute oft, Gott habe Rußland verlassen, er sei tot, nicht mehr anwesend… die auf sich gestellten Menschen seien deswegen so hilflos, schüfen sich ihr Elend selbst..

Lese ich mit westlichen Vorstellungen Werke der russischen Gegenwartsliteratur, dann scheint sich der Eindruck zu bestätigen.

Lese ich dagegen genauer, überlasse ich mich den Büchern, dann erfahre ich von der Größe des Menschen und seinen Möglichkeiten, seinen Empfindungen und seinen Irrungen, aber auch den Chancen, dann höre ich von starken Charakteren in einer heillosen Welt, dann komme ich in Rußland richtig an..

Leseliste . nicht fortgeführt

meine Leseliste

    … 2002

  • Oleg Jurjew Spaziergänge unter dem Hohlmond
  • Wenedikt Jerofejew Die Reise nach Petuschki
  • Thomas Rothschuld Metropolen im Umbruch
  • Slavoj Zizek Die gnadenlose Liebe
  • Roland Barthes Die helle Kammer
  • Alexandre Dumas, der Ältere Reise durch Rußland
  • Roland Barthes Mythen des Alltags
  • … im Herbst 2001

  • Isaac B. Singer Das Landgut
  • Martin Pollack Galizien
  • Uwe Johnson Jahrestage 2. und 3. Band
  • Afanassjew Russische Märchen
  • Uwe Johnson Jahrestage 1. Band
  • Wolfgang Koeppen In Masuren
  • Andrej Stasiuk Wie ich Schriftsteller wurde
  • … im Sommer 2001

  • Theodor Fontane: Schach von Wuthenow
  • Felix Philipp Ingold: Ewiges Leben
  • Milan Kundera: Die Identität
  • Felix Philipp Ingold: Freie Hand
  • Ivan Klima: Liebe und Müll
  • Theodor Fontane: Unwiederbringlich
  • Piotr Rawicz: Das Blut des Himmels
  • … im Frühjahr 2001

  • Pjotr Aleschkowski: Stargorod
  • Bruno Frank Die Tochter
  • Crossing Centuries The New Generation in Russian Poetry
  • Fünfzig russische Gedichte
  • Anna Achmatova: Vor den Fenstern Frost
  • Andrej Makine: Russisches Requiem
  • Maria Nurowska: Briefe der Liebe
  • Sergej Jessenin: Ein Rest von Freude. Gedichte
  • blaue Gedichte
  • Ernst Jandl: Letzte Gedichte
  • Felix Philipp Ingold : Ausgesungen
    … im Winter 2000

  • Felix Philipp Ingold: Auf den Tag genaue Gedichte
  • Sándor Marái Die Glut
  • Vladimir Sorokin Roman
  • Wislawa Szymborska Bis morgen. Gedichte
  • Isaak Babel Tagebücher 1920
  • Andrej Stasiuk Der weiße Rabe
  • Andrej Stasiuk Die Welt hinter Dukla
  • Henryk Grynberg Drohobycz, Drohobycz
  • Bruno Schulz Die Zimtläden
  • Joseph Roth Tarabas
  • Europa erlesen: Galizien Wieser Verlag
  • Viktor Jerofejew Männer
  • Jewgeni Jewtuschenko Wo die Beeren reifen
  • Konstantin Paustowski Ferne Jahre
  • Muchtar Schachanow Irrwege der Zivilisation
    … im Herbst 2000

  • Fjodor Sologub: Der kleine Dämon, 1907
  • Konstantin Paustowskij: Beginn eines unbekannten Zeitalters
  • Gert Ledig: Die Stalinorgel, 1955
  • Felix Philipp Ingold: Geballtes Schweigen, zeitgenössische russische Einzeiler, 2000
  • Wladimir Kaminer: Russendisko, 2000
  • Michail Bulgakow: Der Meister und Margarita, 1966/67
  • Leonid Dobycin: Im Gouvernement S., 1935 – 36
  • Andrej Dmitriev: Die Flussbiegung, 1998
  • Pjotr Aleschkowski: Der Erbe, 1995
  • Gert Ledig: Die Stalinorgel, 1955
  • Boris Pilnjak: Das nackte Jahr, 1922
  • Boris Pilnjak: Die Doppelgänger, 1933 -35
  • Wenedikt Jerofejew: Die Reise nach Petuschki – ein Poem, 1973
  • Pjotr Aleschkowski: Der Iltis, 1994
  • L. R. Tolstoi: Herr und Knecht, Novelle

Bein stellen beim Lesen

wie man sich beim Lesen selbst ein Bein stellen kann…

Vladimir Sorokin

Nun, da habe ich den 600seitigen Roman „Roman“ von Vladimir Sorokin, einem Schriftsteller, der dafür bekannt ist, daß er hart zur Sache geht, nicht zimperlich mit dem Leser umgeht…

Ich wundere mich, 150 Seiten lang spaziert ein Maler, der aus der Stadt, wo er als Jurist tätig war, in das Dorf seiner Jugend zurückgekehrt ist, um dort für den Rest des Lebens nur noch zu malen, in dieser Idylle herum. Er lebt bei Onkel und Tante, feiert das Osterfest mit dem Popen und besucht den philanthropischen Dorflehrer und den misanthropischen Arzt, geht auf die Jagd und rudert mit dem Fischer über den See.

Ein Rußland des 19. Jahrhunderts, ein Oblomow ohne Getriebenheit und Ambitionen, da stimmt doch was nicht. Ich möchte schon Freunde in St. Petersburg anrufen, mit denen ich mich ab und an über literarische Fragen austausche…

Sorokin gehört zu den Konzeptualisten und wo ist das Konzept?

Dann begehe ich den Fehler, einen Artikel über Sorokin zu lesen und darin wird auch das Konzept des Romans enthüllt: die ersten 500 Seiten treiben auf eine Explosion zu, die ich hier nicht erwähnen möchte, die aber das gesamte Konzept des Buches verdeutlicht.

Und nun stellt sich mir die Frage: soll ich die restlichen 300 Seiten bis zu Seite 500 lesen, um dann die Überraschungen der restlichen 100 Seiten gar nicht mehr als Überraschung zu erleben?

Ich habe mich um den intendierten Schock gebracht und nun ärgere ich mich über mich und meine Neugier, bin unentschlossen, will eigentlich gar nicht weiterlesen, weil ich nun weiß, daß die Gemütlichkeit eine grausam trügerische ist,

statt der intendierten Ungewißheit, die der Leser erfahren soll, denn jeder aufmerksame Leser wird heutzutage zweifeln, wenn ihm eine so trügerische Idylle erzählt werden soll, ist nun ein Wissen um die Dramaturgie vorhanden und ich fühle mich manipuliert und betrogen.

Aber betrogen habe ich mich selbst, weil ich nicht warten konnte.

Vladimir Sorokin: Roman
Gebundene Ausgabe: 703 Seiten
Verlag: Haffmans Verlag (1995)
ISBN-10: 3251002988
ISBN-13: 978-3251002986