Erika Burkart: Ortlose Nähe

Ortlose Nähe
Ortlose Nähe
Bevor ich mich auf ein Abenteuer einlasse, für 3 Tage nach Schottland fliege mit zwei Freundinnen, noch eine Buchvorstellung einer Autorin, die mich immer wieder sehr, sehr beeindruckt:

Erika Burkart: Ortlose Nähe

Geradezu hart, schonungslos spricht die Autorin von der sie umgebenden Natur, dem Leben, seinen Anforderungen und den Zumutungen. Ihre Schonungslosigkeit ist unanfechtbar. Und geht sehr nach.

Ein Höhenkurort

Lästig sind mir auf dem Waldweg
keuchende Jogger und Biker.
Den Starrblick über dem Lenker
dicht an der Stoppuhr
den Leerblick im Eiswind,
sehen sie gar nichts,
weder Felsenkronen noch Mohrenfalter,
um ganz zu schweigen
von Linnées Moosglöcklein, nistend
auf einem zu Höhlen
verrottenden Strunk.

Durch das Fenster
schaue ich auf zu den Bergen,
sehe ich die Nebel aus Schluchten quellen;
ihre Schatten, gemalt
mit flüchtigem Pinsel auf Ödland
eine Schöpfung, die sich schafft
ohne uns, das Hirn der Erde,
das ruhelose
Auge im Raum.

Erika Burkart: Ortlose Nähe
Gebundene Ausgabe: 90 Seiten
Verlag: Ammann; Auflage: 1 (April 2005)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3250104892
ISBN-13: 978-3250104896

viel gelesen, aber hier nicht viel geschrieben

in meiner knappen Zeit habe ich mehr mit Fotographie beschäftigt, ein Buch von Juri Andruchowytsch nicht zu Ende gelesen, der 12. Kreis hat mich nicht gefesselt.

Aber schauen Sie sich bitte dies an: [link2post id=“1215″]Elementpoesie[/link2post]


Gherasim Luca
Gherasim Luca


Dieser großartige Dichter Ghérasim Luca wird jetzt endlich wahrgenommen.

Viel zu spät, aber nicht zu spät

und noch eine Arbeit,inspiriert von Gherasim Luca:

Droit de Regard sur les Idées


Parvenir
Parvenir


Körperecho
Körperecho


Gherasim Luca:Das Körperecho / Lapsus linguae. Gedichte – Franzsösisch und Deutsch
Gebundene Ausgabe: 552 Seiten
Verlag: Engeler; Auflage: 1 (August 2004)
Sprache: Französisch, Deutsch
ISBN-10: 3905591782
ISBN-13: 978-3905591781

Perlentaucher: Rezensionen
und eine Besprechung in der
Allgemeinen Zeitung vom 01.03.2005

Schon die Buchgestaltung ist eine Sensation, jubelt Felix Philipp Ingold, eine Art „Kippobjekt“, das man drehen und wenden kann und das zwei gegenläufige Textkörper mit jeweils eigener Titelei zum Verschmelzen bringt: „hocherotisch“, schwärmt er weiter. Auf siebenhundert Seiten sind hier die französische und die deutsche Ausgabe der Gedichte von Gherasim Luca vereint, eines in Paris beheimateten rumänischen Künstlers und Dichters, der den späten Surrealisten nahe stand, wie Ingold zusammenfasst. Luca starb 1994 und ist erst in den letzten Jahren zu ein bisschen Ruhm gekommen. Der Rezensent charakterisiert Luca als „Wortarbeiter“, der überwiegend von der Klang- und Schriftgestalt des Wortes ausging und dessen kommunikativen Fähigkeiten eher misstraute. Seine bevorzugten Verfahrensweisen waren darum Gleichklänge, Permutationen, Variationen, Anagramme, die Bildung von Koffer-Wörtern, in denen die Entfaltung der darin enthaltenen Begriffe lautlich vorangetrieben werden konnte, schreibt Ingold kundig. Für Übersetzer sei so ein Schreibverfahren, in dem mehrheitlich die Klanggestalt den Sieg über den Bedeutungsgehalt davon trage, höchst anspruchsvoll. Der Verlag hat darum gleich drei ausgesprochen fähige Übersetzer daran gesetzt, die auch schon mal drei sehr unterschiedliche Varianten einer Übersetzung ablieferten: alle drei seien „gleichermaßen richtig“, stellt Ingold etwas nüchtern fest.

Immer wieder

Ja was immer wieder? Ich wollte auf die immer so genaue und bezeichnende Sprache Felix Philipps Ingolds zu sprechen kommen, aber ich bekam nicht die Überschrift gefasst…

keiner hat die Sprache wie er

und mir stellt sich die Frage: was ist Leopardi, was ist Ingold?
Aber diese Frage ist wiederum auch hinfällig, denn nur das läßt sich übersetzen was sich trifft.

Kentern
Kentern

Ich wünsche mir auch ein wenig Treffsicherheit:

Die Photo-Arbeit auf Zweiterblick.de:
Das Unendliche


In diesem Meer zu kentern, denk ich,
Ist das Glück. Das Riesige, gedacht, wird Nichts.
Und nur, was klingt, ist Jetzt, lebendig.
Das Ewige bleibt Nein, den Tod verspricht’s.
Und aber seine Stimme ist das Schweigen.
Das kein Ende kennt, kein Scheitern – wie Wind
Rauscht es von Strauch zu Strauch. Zur Neige
Geht derweil die Zeit, wird Schrecken, das Bild,
Das ich mir mache in Gedanken, geht
Über Menschliches hinaus, ist nichts als Stille,
In deren Tiefe ewig jene Stimme weht.
Und ich, ganz Auge, sitze da – vor mir so viele
Räume, Jenseitsträume ohne Grenzen.
Letzte Weite bleibt dem Blick entzogen,
Denn den Horizont verstecken diese Hecken
Und auch der Hügel, dessen kahlen Bogen
Ich schon immer liebte.


Giacomo Leopardi / Das Unendliche
Aus dem Italienischen von Felix Philipp Ingold
in: Minima Poetica, Köln 1999

Verspätetes Geburtstagsgeschenk (35 Jahre später)

Im Heinrich-Heine-Antiquariat finde ich einen Gedichtband von Nikolas Born und als ich mich besinne, daß Nikolas Born die Erzählung „Die Fälschung“ geschrieben hat, die so intensiv mit Bruno Ganz verfilmt wurde, dessen Namen mir erst nicht einfiel, kaufte ich dann dieses Buch.

Und lese mich gleich beim Abendessen im Ratsstüble fest („schwätzt nit so laut, die Dame liest!“).

Und dann finde ich ein Gedicht Feriengedicht Juli 69 und denke nach, wie alt ich damals war, und dann im Vorletzten die Frage

Ist heute der 20. oder 21.Juli 1969?
Armstrong: „Okay“

Ja, an meinem 17. Geburtstag landete der erste Mensch auf dem Mond (Armstrong)
( Am 20. Juli 1969 landete die amerikanische Mondfähre Adler sicher auf dem Mondboden.
Am 21. Juli 1969 um 3h56m MEZ (Mitteleuropäischer Zeit) öffnete sich die Luke und Neil Armstrong setzte als erster Mensch unter den Augen von ca. 500 Millionen Fernsehzuschauern seinen Fuß auf den Mondboden.) und Dieter Barz (der Freund meines Bruders) buk mir einen Geburtstagskuchen.

Feriengedicht [Juli 1969]
 

Dieses Gedicht handelt von Ferien  Der Himmel
ist blau          das Meer blau
   bei uns geht es auch ziemlich normal zu
ein Tag ist schnell umd (verfliegt) und was dann?
am besten macht man ein paar Fotos für hinterher
und geht schlafen
jeder gähnt noch einmal auf seine Art
manche am weitesten        dann GUTE NACHT!

Hinter den Häusern die Wüste
Wüste    Sonne   Durst
   ein Mann erschießt sein Pferd
amerikanisches Gelb aber ohne blaue Limousinen
Hinter dem Horizont das Gleiche
dahinter noch einmal
     das Gleiche
Geröl    eine Bergkette
  hinter dem Horizont erschießt ein Mann sein Pferd
  das Gleiche
nichts liegt so falsch auf der Erde
wie die Beine von einem Pferd

Die Zeit

      verdampft
            der Tag verfliegt
Armstrong gibt eine neue Position durch

unterdessen
rollen die Bälle weiter
ein paar Briefe zu schreiben wäre das Größte
hinten die Berge vorne das Meer
zwischen uns eine Meinungsverschiedenheit
dann ist es wieder still
immer noch nichts
"Blau
ist das Meer"

Es bleibt wie es ist
    die Rufe der Schwimmer
      bunte Plastiksachen
         alles flach
        man kann weggehen und wiederkommen
          blau ist das Meer
und wir sind so einen inneren Frieden nicht gewöhnt

Die Zeit vergeht wie im Fluge (verfliegt)
die Nacht ist hereingebrochen
so geht es immer
  wenn man mal an was anderes denkt
HÖRST DU DIE SÄNGERINNEN SINGEN?
    der Mond ist aufgegangen das Zimmer ist
  untergegangen
einer öffnet die Tür und macht sie leise
  hinter sich zu
nicht erschrecken es ist ICH
wir sind trocken und liegen nackt
das Nachtleben in den Ritzen der Jalousie
ein bleiches Wesen versucht eine Landung auf dir
die Landung glückt
es bumst und knallt noch ein paarmal
"dann ist es wieder still"

An der Seite der schönen Männer mit Absicht auch

die schönen Frauen
       wir sitzen am Rande
      ziemlich berührt
zwischen Farben und Gangarten ist ein ganz harter
   Schnitt
am Brustansatz ist ein kleiner Pickel
           kleines rotes
raffiniertes Signal daß alles nicht so gemeint ist
wir sind nicht unabhängig
essen aber gerade
Es steigt in das Schlauchboot zur Essenszeit
die nette Familie aus Düsseldorf
     übt slawische Zischlaute

Der Mann der sein Pferd erschossen hat
kann nicht ans Meer gelangen
         (es ist
   eine Dramaturgie ohne Meer)
obwohl der Weg nicht weit ist da hinunter
wo die schönen ZEOZON-braunen Körper liegen
von Yvonne Eva Nicole Manfred Christine Harry u.v.a.
und im Wasser der schöne Körper von Rainer
der immer winkt wenn er im Wasser ist und winkt
   noch an diesem Abend wird er in den Klippen
      eine Nummer schieben
mit einer großen Braunen aus Großbritannien

   Ist heute der 20. oder 21. Juli 1969?

       Armstrong: "Okay!

Greguerías

Greguerías
Greguerías

Ramón Gómez de la Serna: Greguerías – Die poetische Ader der Dinge..

Das Ideal ist von uns immer durch einen Duschvorhang getrennt schreibt er.

Seine Einzeiler beleuchten Momente unseres Lebens, werfen einen pointierten Blitz darauf.

Er reiht sich zwar nicht in die Liga der Einzeiler neben Ortstermine und Fotozeilen ein.
Trotzdem schön.

Ramón Gómez de la Serna: Greguerias, Die poetische Ader der Dinge
Broschiert: 128 Seiten
Verlag: Straelener Manuskripte Verlag (1994)
Sprache: Deutsch, Spanisch
ISBN-10: 3891070373
ISBN-13: 978-3891070376

Dmitrij Prigow

ist zu Gast bei uns. Wir kennen uns schon lange Jahre und ich habe eigentlich alle erreichbaren Bücher im Regal, wenn auch die meisten in der russischen Version und da muss mein Besitzerstolz reichen, lesen kann ich es vielleicht in ein paar Jahren. Mein Russisch ist zu schlecht.

Dima schreibt Prosa, Lyrik, ist Sound-Poet. Seine Lesungen gehören zu den aufregendsten und er ist grandios im Improvisieren mit Musikern.

Seine historische Rolle als Konzeptkünstler in Moskau und seine aktuelle Arbeit als Registrator der Gegenwart.

Am Mittwoch liest er im Literaturhaus Hamburg, im Rahmen eines Konzertes der neuen Reihe „Jazz und Literatur“ des Jazzbüro Hamburg und des Literaturhauses Hamburg

Und noch ein Text zum Thema „Vergessen“

Johannes Bobrowski:

Holunderblüte

Es kommt Babel, Isaak. Er sagt: Bei dem Pogrom, als ich Kind war, meiner Taube riß man den Kopf ab.
Häuser in hölzerner Straße, mit Zäunen, darüber Holunder. Weiß gescheuert die Schwelle, die kleine Treppe hinab – Damals, weißt du, die Blutspur.
Leute, ihr redet: Vergessen – Es kommen die jungen Menschen, ihr Lachen wie Büsche Holunders. Leute, es möcht der Holunder sterben an eurer Vergeßlichkeit.
das Vergessen der Welt, nicht das Vergessen des Dichters

Marcel Reich-Ranicki:

Wie immer, die Vergeßlichkeit ist ein Gift. Sie verkleinert das Territorium der Erinnerung. Sie ist auch ein Angriff auf die Dichtung selbst, auf das Gedicht. Wenn Erinnern ist, was vom Vergessen bleibt, dann ist es das Geschriebene, das Fixierte, welches letztlich vom Erinnern bleibt. Gute Gedichte sind ein Gegengift gegen das Vergessen. Das will uns Bobrowski sagen, wie Issaak Babel ein Ästhet inmitten der Barbarei, wie er ein Erinnerer inmitten von Gedankenlosigkeit und Lethargie.

FAZ vom 16.08.2003