Und wieder wird Bruno Schulz vereinnahmt

Bruno Schulz
Bruno Schulz

die Süddeutsche veröffentlicht am 23.08.03 eine Erzählung des jungen Erzählers Gernot Wolfram: „Die Fresken„. (nicht mehr online)

Das ist nichts Ungewöhnliches und auch nichts Besonderes. Aber die Erzählung ist ärgerlich. Grund: Es geht um Bruno Schulz, den polnisch-jüdischen Dichter aus Drohobyzch, Kafka-Übersetzer und Maler, Sklave eines Offiziers, von einem Oberscharführer erschossen.

Bruno Schulz ist der Verfasser der Zimtläden, einer Sammlung surrealistischer, äußerst dichter Geschichten. Bruno Schulz war lange Zeit vergessen. In den 60er Jahren wurde sein Werk auch ins Deutsche übersetzt, bei Hanser verlegt. In letzter Zeit wurde er wieder wahrgenommen, als der deutsche Filmregisseur Benjamin Geissler zusammen mit seinem Vater die Fresken wiederentdeckte, die Schulz gezwungenermaßen in der Villa des Offiziers malen mußte.

Kurz nach den ersten Berichten über diese Entdeckung wurden diese Fresken von Mitarbeitern der Gedächtnisstätte Yad Vashem aus Israel rechtswidrig entfernt und in einer Nacht- und Nebel-Aktion aus der Ukraine nach Israel verbracht. Eine kriminelle Annektion.

Und nun kommt dieser junge Mann daher, und schreibt eine Erzählung über diesen Kunstraub, in der Erzählhaltung eines der Beteiligten, mit schlechter Syntax, stilistischen Schwächen. Aber darum geht es nicht.
Es ist die Erzählhaltung, die ich verabscheue.

Er versucht leiseste Skrupel des Ich-Erzählers herauszuarbeiten, die er mit der ruhigen Selbstgewissheit und dem Ehrgeiz der anderen Kunsträuber, anders kann ich das nicht nennen, konfrontiert.

Aus Bruno Schulz macht er den Schriftsteller und Maler Zimt, Benjamin Geissler heißt Berger und ansonsten wird einfach erzählt. Er vereinnahmt das Schicksal des unglücklichen Schulz für eine pseudoliterarische Rechtfertigung des Kunstraubes.

Ich meine, hier wird Bruno Schulz wieder zum Opfer gemacht.
Genauso wie ihn Ugo Riccarelli in dem unsäglichen Machwerk Ein Mann, der vielleicht Schulz hiess zum Opfer machte.

Beide Autoren vereinnahmen den wehrlosen Autoren ebenso wie Yad Vashem ihn als israelischen Künstler vereinnahmt oder wie er in der Yahoo-Gruppe Bruno Schulz auf seine ethnische Zugehörigkeit reduziert hysterisch hochstylisiert wird.

Was soll das?
Warum vergreifen sich die schlechten Schreiber an Bruno Schulz?
Und warum veröffentlicht die Süddeutsche solch einen Schund in ihrer Wochenendausgabe?


Der Autor gibt auch Lesungen und die Lesungen werden z.B. so angekündigt:

Gernot Wolframs Geschichten berichten von Menschen, die plötzlich in eine Situation des Zweifelns geraten. Mit einem Mal werden ihre Überzeugungen brüchig, stimmen nicht mehr, verändern sich. Zum Beispiel geht es um einen Journalisten, der glaubt einem Verbrechen auf der Spur zu sein, dann, weil er das falsche Foto schießt, selbst unter Verdacht gerät. Eine Gruppe israelischer Restauratoren stößt in einer Villa in der Ukraine auf die Fresken des ermordeten Dichters Bruno Schulz ….

ja ja, die Täter, Kunsträuber stoßen plötzlich auf die Fresken. Klar, ein Dieb trifft zufällig auf die Beute.

„Warum ist Karl Krolow vergessen?“

In der FAZ-Sonntagszeitung wird Marcel Reich-Ranicki gefragt:

Das Werk des Dichters Karl Krolow ist weitgehend in Vergessenheit geraten – zu Unrecht?

Marcel Reich-Ranicki:

„Die Vermutung, Karl Krolow sei vergessen, weil das Interesse – wie die Fragestellerin schreibt – an „etwas traditioneller Lyrik“ abnehme, halte ich für ganz falsch. Es trifft eher das Gegenteil zu: Experimentelle Poesie überlebt sich in der Regel besonders schnell, gerade die Avantgarde gerät rasch in die Arrieregarde. Das jedenfalls lehrt die Geschichte der deutschen Literatur. Und schließlich: Alles auf Erden ist vergänglich – auch die Poesie.“

Erst denke ich über den Dichter Karl Krolow nach, erinnere mich an das, was ich von ihm gelesen habe und dann überdenke ich die Frage genauer und ärgere mich. Denn die Frage zielt nicht auf eine Bewertung des literarischen Bewertens ab, die Frage zielt darauf ab, daß M. R.-R. das beurteilen könne und daß sein Urteil Bestand hätte.

Da wird die eigene Urteilsfähigkeit abgegeben an einen Experten.

Aber kann man das nicht selbst entscheiden? Durch Wiederlesen, Besprechen mit anderen literarisch Gesinnten etc.?