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Franz Martin Olbrisch

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Wittener Tage für neue Kammermusik 1992

Inhalt
CD 1

Der Begriff "instrumental" deutet bereits auf das Verhältnis dieser Szene zu den übrigen Teilen der Kammeroper. Die einzelnen Szenen sind, der besonderen Dramaturgie dieser Kammeroper folgend, austauschbar; der Handlungsablauf ist somit aus den Zwängen einer kausalen Chronologie losgelöst. Das 10.Bild verzichtet nun ganz auf textliche Semantik, bleibt aber trotz allem szenisch, ohne allerdings in den Intermezzocharakter eines traditionellen Zwischenspiels abzugleiten. Es verweigert lediglich die Sprache und erteilt damit dem Wesen der Oper eine Absage. Sein kammermusikaIischer Charakter ist kaum zu verleugnen, besonders da dieses Bild in sich geschlossen ist und seine Autonomie gegenüber den anderen Teilen bewahrt.

Grundlage dieser Autonomie ist die strukturelle Eigenständigkeit und die Geschlossenheit der formalen Gestaltung. Man könnte von einer Art Polyphonie sprechen, bei der allerdings nicht einzelne Stimmen, sondern bestimmte Aspekte der "musikalischen Oberfläche" polyphon geführt werden. Eine dieser Schichten bildet die Linearität, die sich auf Erscheinungsformen wie Skalen, Glissandi, Arabesken, Motive oder Triller erstreckt. Eine zweite Schicht strukturiert die verschiedenen Aspekte der Zeit, wie sie sich zum Teil in den traditionellen Begriffen von Rhythmik und Metrik widerspiegeln. Als dritte Schicht habe ich die Farbe im Sinne einer harmonischen Komponente benutzt, die verschiedene additive Klänge und deren Dichte strukturiert. Die letzte Schicht gliedert den Kontext der Einzelereignisse und die Art ihres Zusammentreffens in Gruppen und Flächen. Da jede dieser vier Schichten einen eigenen Zeitverlauf besitzt, überlagern sich die jeweiligen Formabschnitte und bilden dadurch eine Polyphonie der formalen Abschnitte und nicht eine der einzelnen Klangereignisse.

Der Gesamtverlauf entwickelt sich aus verschiedenartigen Klangflächen, aus denen sich nach und nach deutlichere Gesten abheben, ohne daß sie sich je zu einer konkreten Gestalt verdichten. Sie offenbaren ihre Sprachlosigkeit - im Sinne eines Defizits an konkreter Semantik -, indem sie zunehmend in "leeren" Skalen münden. Auch ein zweiter Anlauf zielt ins Leere, zerfällt in isolierte Gesten und deutet eine zunehmende Vereinzelung der Instrumentalstimmen an. Gleichzeitig entwickelt sich eine Klanggebung, die ich hier als "nicht-instrumentierbar" bezeichnen möchte, das heißt, die einzelne Stimme ist so instrumentenspezifisch, daß sie nicht von einem beliebigen anderen Instrument übernommen werden kann. Was bleibt, ist die Vereinzelung, unabhängig von einer depressiven oder euphorischen Wertung.

F.M.0. 

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