Ja, ich lebe auch auf….

Das kommt davon, wenn man sich auf die automatischen Auszugs-Verkürzung von WordPress verläßt… der Sinn verwandelt sich gänzlich…

Im Jahre 2005 eroberte ein ungewöhnlicher Roman die New-York-Times-Bestsellerliste und blieb dort für 261 Wochen. Auch in Deutschland schaffte es »Schloss aus Glas« bis auf Platz 11 der SPIEGEL-Bestsellerliste. Die Klatsch-Kolumnistin Jeanette Walls enthüllte in diesem autobiografischen Werk, dass sie in schlimmen und ärmsten Verhältnissen aufwuchs. Ihr Vater war Alkoholiker, und ihre Eltern lebten auf

Oder ist das auch wieder nur eine ganz normale zeitgenössische Patchwork-Familie? Eine Rezension des Literaturcafés, eigentlich sehr empfehlenswert ;=)

gelesen und nicht begeistert…

Alice Munro: TricksAlice Munro erhielt 2013 den Nobelpreis für Literatur. Das ist eine hohe Ehre.

Aber ob ihre Werke dem gerecht werden?

Sie wird als Meisterin der kleinen Form gelobt und so habe ich mir den Band „Tricks“ mit acht Erzählungen herausgesucht, um diese Autorin näher kennenzulernen.

Nach den ersten 2 Erzählungen wollte ich nicht mehr weiterlesen. Zu banal. Die Probleme dieser Frauen lassen mich kalt.
Um nicht ungerecht zu sein, las ich mit großem zeitlichen Abstand immer noch eine der Erzählungen, über das ganze Jahr verteilt.

Aber mein Urteil hat sich nicht revidiert. Ganz nett, aber uninteressant. Mütter und ihre Töchter, ungeliebte Frauen, die da in ihrem nordamerikanischen Alltag herumkrauchen, nö, das brauch ich nicht.
„Bedrohungen, heimliche Sehnsüchte und Leid“, „melancholisch-zarte Geschichten“ – ach Leute, was dünn ist wird auch euphemistisch angehaucht nicht gehaltvoller. Die auf der Buchrückseite zitierten Urteile hätten mich warnen sollen ;=)

Alice Munro: Tricks: Acht Erzählungen
Verlag: FISCHER Taschenbuch; Auflage: 6 (10. Januar 2008)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 359616818X
ISBN-13: 978-359616818
Taschenbuch: 384 Seiten

Ellen Widmaier: Spatzenkirschen

Das eindruckvollste Buch des letzten Jahres habe ich geschenkt bekommen:

Ellen Widmaier: SpatzenkirschenSpatzenkirschen von Ellen Widmaier.

Dieses Buch ist sehr persönlich. Ein Eintauchen in das Saarland vor dem Zweiten Weltkrieg, in die Spannungen zwischen den beiden Nachbarländern Frankreich und Deutschland. Die Nazis ergreifen die Macht, das Saarland soll wieder zu Deutschland, der Nationalsozialismus dringt in alle Lebensbereiche ein, vergiftet das Zusammenleben.

Marie, die Hauptfigur, Französin, liebt und heiratet Paul, einen Deutschen, liefert den Franzosen Informationen über die Aufrüstung und die Nazis im Grenzgebiet, wird zusammen mit ihrem Mann verhaftet und von den Nazis in Plötzensee hingerichtet.
Eine Widerstandskämpferin ohne großes politisches Konzept, keine Agentin, eine Frau, die den Alltag nicht erträgt und handelt.

Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs und des Nationalsozialismus, wird diese Geschichte in der Familie verschwiegen, das Schicksal Maries und Pauls wird ein Geheimnis, an das keiner rühren mag. Ein Tabu, denn Landesverrat ist ein Verbrechen.

Die Großnichte dieser mutigen Frau jedoch will das Tabu lüften, Marie die Ehre zukommen lassen, die ihr gebührt.
Jahrelang forscht und sucht sie, immer wieder gebremst durch Schweigen, bürgerliche Feigheit und Verhinderung.
Jahrelang leidet sie unter der Wand, gegen die sie immer wieder läuft. Verjährung und Persönlichkeitsschutz (der Täter?), dahinter verstecken sich diejenigen, die noch etwas wissen. 
Dann erfährt sie aber immer mehr über das Schicksal von Marie und Paul, von einer Verwandten, die die Verdrängung nicht zuläßt, die ihr die bisher verheimlichten Informationen gibt und Lena, so heißt die junge Frau, kann mit diesen und den Informationen aus Archiven das Geschehen erfassen.

Was ist besonders an diesem Buch?
Es ist nicht nur die Geschichte einer mutigen Frau, es ist auch die Geschichte der Autorin, welche die Dämonen ihrer Familie durch ihre Nachforschungen vertreiben kann.
Denn diese Geschichte ist wirklich. Ellen Widmaier fügt dem Roman im Anhang einen Forschungsbericht hinzu, der aufzeigt, wie lange die verdammten zwölf Jahre die Politik, die Justiz, den Alltag der Bundesrepublik bestimmt und geformt haben. Rechtsprechung, Wiedergutmachung… allein das Wort „Wiedergutmachung“ ist entsetzlich, das Geschehene kann „nicht wieder gut gemacht werden“. Nur Wissen, Sprechen, Erfahren, Weitergeben  kann heilen.
Aber das dauert lange. Viele Jahre. Und dann ist es vielleicht zu spät, dann will nicht nur, dann kann sich auch niemand mehr erinnern. Zeitzeugen sterben weg. Jede unbeantwortete Frage bleibt unbeantwortet.

Das Buch hat noch ein Verdienst: Es gibt nicht viele literarische Werke, die sich dem Saarland und seiner Geschichte in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts annehmen. Geschichte hat doch anderswo stattgefunden, mehr im Osten…

Ich möchte daß dieses Buch ein großes Lesepublikum findet, denn so wurde noch nicht erzählt. Und es muß gelesen werden. Wahrgenommen werden.
Mir geht es nicht mehr aus dem Kopf.
Lesen Sie es!

Ellen Widmaier
Spatzenkirschen: Roman
336 Seiten
Gollenstein Verlag
ISBN-10: 393573171X
ISBN-13: 978-3935731713

Eine ebook-Fassung dieses Buches ist angekündigt.
Mehr über Ellen Widmaier auf ihrer Webseite: www.ellen-widmaier.de

lange Lese-Unterbrechung und Schreib-Pause

Hier im Lesebuch war es nun schon sehr lange ruhig. Und je länger es ruhig ist, umso höher die Schwelle, den Blogbetrieb wieder aufzunehmen.

Warum aber war es so still? Nun, ich befinde mich immer noch im Umbruch, auch im letzten Jahr meiner „passiven“ Altersteilzeit habe ich mich noch nicht so umstellen können, daß ich nur noch meinen Vorlieben fröne, mehr Zeit fürs Lesen finde und auch darüber schreibe, zum Anderen habe ich hier in meiner neuen Umgegend in Ostvorpommern neue Aufgaben gefunden, die mich doch sehr beschäftigt haben.

Es wurde ein Kunst- und Kulturrat Vorpommern-Greifswald gegründet, ich habe die Web-Betreuung dafür übernommen und bin mittlerweile auch im Vorstand.
Im Sommer habe ich eine Webseite zum hundertsten Geburtstag der Usedomer Malerin Susanne Kandt-Horn erstellt, auch ein gehöriges Stück Arbeit.
Ich habe die technische Betreuung eines EU-Projektes für die hiesige Region übernommen, ein internationales Projekt im Rahmen der „Business Culture Partnership“, eine zweisprachige Crowdfunding-Seite, die nun an den Start geht. Das war viel Arbeit und es wurden sogar Reisen erforderlich, da die Entwickler in Litauen sitzen. So flog ich also letztes Jahr gleich zweimal nach Litauen, und das hat mir Appetit auf nochmehr Baltikum gemacht. Also war ich im August / September und im Dezember, dann aber mit Familie, zweimal in Riga und habe mein Herz für diese Stadt entdeckt. Und in Wolle und Strickwaren geschwelgt.

Zur Zeit werden gerade die Grundlagen für die nächsten Förderperioden der EU-LEADER-Vorhaben gelegt, „Entwicklung im ländlichen Raum“. Und da hier in Ostvorpommern der Raum sehr ländlich ist und der Bereich „Kultur“ nicht unbedingt in den Köpfen aller präsent ist, sind wir auch hier bei den Meetings, Workshops etc. in Anklam und Wolgast involviert. So haben wir es erreicht, aus dem Handlungsfeld „Natur / Kulturerbe“ in den beiden genannten Bereichen „Kulturerbe“ durch „Kultur“ zu ersetzen, sonst wäre keinerlei Förderung jenseits von Denkmalpflege möglich geworden. Das kostet natürlich auch Zeit und Engagement, die fremde Begrifflichkeit, die unterschiedlichen Akteure in der Region, das ist alles neu und man möchte ja auch was erreichen…

Alte ägyptische SockenAber ich will mich nicht mit „Arbeit“ herausreden.

Neue, andere Interessen haben sich in den Vordergrund gedrängt, ich habe das Stricken wieder neu entdeckt und zwar als immaterielles Kulturgut, als eine Kulturtechnik mit vielen Facetten und Ausprägungen. Bei der Nähe zum Baltikum eigentlich kein Wunder. Und so habe ich sehr viel Fachliteratur / Strickliteratur gelesen, die nicht unbedingt der Belletristik zuzuordnen geht, aber ebenso spannend und vielseitig ist.

Der Niederschlag dieser Beschäftigung findet sich in meinem Strick-Kultur-Blog Wockensolle.de

Ich habe natürlich trotzdem gelesen, wenn auch nicht so viel wie früher. Und ich habe hier nicht geschrieben, damit habe ich, wie ich weiß, einige meiner Leser enttäuscht.

Damit mein schlechtes Gewissen mich nicht noch mehr blockiert, habe ich heute ersteinmal die Installation hier aktualisiert und dann werde ich die Liste der zuletzt gelesenen und vorstellenswerten Bücher „abarbeiten“. Auf jeden Fall.

Vergebliche Suche und wiedergefundene Jugend

Jens Sparschuh, Ende der SommerzeitJens Sparschuh ist mir als Autor bekannt, aus Feuilletons und Rezensionen. Ich habe sicherlich auch schon Einiges von ihm gelesen.
Nun fand sein neues Buch meine Aufmerksamkeit, das Ende der Sommerzeit.

Und zwar, weil in den Rezensionen, die wie immer verdienstvoll vom Perlentaucher zusammengestellt, der Name „Vladimir Nabokov“ fiel.
Schon bin ich interessiert. Und suche mir das Buch heraus.

Es gibt zwei Ausgaben: eine klassische gebundene Ausgabe und eine Kindle-Ausgabe. Und da ich mir vorgenommen habe, nicht mehr soviele Bücher „in natura“ zu kaufen,  meine Regale können das nicht mehr fassen, lade ich die digitale Version herunter, auch wenn ich gar nicht einsehen mag, weshalb eine digitale Version nur 2€ günstiger ist als die gedruckte Ausgabe.

Schnell ist es gelesen, interessant, mit vielen Erzählebenen. Pubertät, Sommerferien, Jugend in der DDR, Prag 1968, intellektuelle Neurosen, Antriebslosigkeit und dann plötzlich dieses Thema, das alles aufwirbelt: wo hat Nabokov im Sommer 1929 denn nun tatsächlich ein Datschengrundstück gekauft?

Der Erzähler sucht und findet. Er findet zuviel und er findet das Falsche. Er versäumt viel und erinnert Vieles wieder oder wieder neu. Ein Entwicklungsroman und eine literarische Recherche, beides erfolglos. Und am Ende weiß er nicht wie weiter. „Erinnerung, sprich“ heißen Nabokovs Memoiren, und dieses Buch vergißt der Erzähler in der Datscha seiner Familie, von der aus er die Suche startet. Die Suche nach Nabokovs Sommerhaus. Die Erinnerung spricht so deutlich zu ihm, ruft soviele Erinnerungen wach, daß er das Buch selbst schließlich in der Datscha vergißt.

Die Kontroversen zwischen den Nabokovianern und den Anti-Nabokovianern, Nabokovs Abneigung gegen Freud, freudianische Literaturwissenschaftler, verklemmte Lieben und verbissene Nabokov-Adepten, all das  kommt genüßlich vor. Trotz vieler Hinweise und Spuren kann die Nabokovsche Parzelle nicht geortet werden, verliert sich.

Die Sommerzeit endet.
Nabokov hat aus finanziellen und wohl auch anderen Gründen nie die Datschenpläne realisiert, keine Sommerzeit dort erlebt.
Die erinnerten Sommerferien 1968 enden mit dem Einmarsch der DDR in Prag und der ersten zarten Liebe.
Eine neue Liebe versäumt der Erzähler um eine Stunde Zeitverschiebung …

Gut lesbar, amüsant, kenntnisreich, verwirrend, athmosphärisch stimmig, was soll ich weiter sagen?

Jens Sparschuh: Ende der Sommerzeit
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten
Verlag: Kiepenheuer & Witsch
ISBN-10: 3462046160
ISBN-13: 978-3462046168

Dunkle Geschichten

Nikolai Gogol
Nikolai Gogol

ich bin wieder mal in Russland unterwegs, zum 10. Todestag meines Freundes Nikolai Dmitriev also auch wieder in Moskau auf dem Novodevichy-Kloster-Friedhof, dem „Prominenten-Friedhof“.

Auf dem Weg zu Nick lege ich immer Blumen auch bei Gogol, Tschechov und Bulgakov nieder. Und dieses Mal gab es eine Überraschung für mich: wir fanden Gogols Grab nicht mehr. Jedenfalls auf den ersten Blick, denn seine Büste war verschwunden.

Was uns unverständlich schien, klärte sich dann auf: statt der Büste krönt nun ein goldenes Kreuz seine Grabstätte.

Gogols Grab Für mich wieder ein Zeichen für die neue „Kirchlichkeit“ in Russland.

Ansonsten, und daher der Titel, lese ich gerade Novellen von Fjodor Sologub, die wahrlich dazu fähig sind, die Stimmung zu trüben.

Welch dunkler Drang herrscht in den Novellen, Schattenspielen bringt den Wahnsinn, junge Frauen wandeln sich zu Bräuten unbekannt verstorbener junger Männer…

ein dichtes düsteres Geflecht.

Zwar 80, aber

nicht so weise wie ihn die Medien gerne darstellen möchten: Helmut Karasek hat Geburtstag. Und Feuilletons jubeln und lassen die Tochter Hymnen auf den Vater singen (Abendblatt, Hamburg).

Ein Feuilleton, das einen Mann, der Literaturkritiker sein soll, aber mit Vorliebe schlüpfrige Pointen absondert, als humorvoll charakterisiert, ist nur peinlich.

Ein Feuilleton, das meint, wir alle hätten viel von ihm gelernt (ohne es vielleicht zu wissen), spekuliert mit erfundenen Tatsachen.

Mir war dieser Mann immer peinlich, sei es, wenn er mir mit Rollköfferchen in Basel begegnet, in Heringsdorf bei den Literaturtagen sabbernd Ansagen macht oder seine Tochter nepotistisch auf dieses unglückliche Usedomer Literaturfestival mitschleppt, die von ihm geschilderten literarischen Empfindungen mochte ich nie teilen.

Für manche Literaten habe ich mich fremdgeschämt, wenn sie von ihm besprochen worden.

Nein, in diesen Lobgesang stimme ich nicht ein, mich nervt er. Ein alter, mir peinlicher Mann.