James Joyce & Company

James Joyce and Company

Dieser Band mit  Aufsätzen von Wolfgang Wicht erreichte mich aus dem Shoebox House Verlag.

Aufsätze zur Literatur des Modernismus in Großbritannien enthält er, geschrieben von Wolfgang Wicht, einem renommierten Anglisten, Professor für englische Literaturgeschichte.
Ein Mann von ungeheurem Fleiß, wie es das Publikationsverzeichnis aus dem Jahre 2004 zeigt.

Die in diesem Band vorgestellten Autoren Whistler, Shaw, Yeats, Virginia Woolf, James Joyce und T. S. Eliot werden dem Modernismus zugerechnet, einer Bewegung die zu Beginn des 20. Jahrhunderts radikal mit allen Konventionen brach.

Eine Verschiebung der Werteskala – der plötzliche Erdrutsch der Massen, die jahrhundetelang in ihrem Stand gelassen wurden – hat das alte Gebäude in den Grundfesten erschüttert, uns der Vergangenheit entfremdet und uns vielleicht zu deutlich die Gegenwart vor Augen geführt. Jeden Tag sehen wir uns Dinge tun, sagen oder denken, die unseren Vätern  unmöglich gewesen wären.

schrieb Virgina Woolf wenige Jahre später über diese Zeit. Nun bin ich keine Anglistin, in der englischsprachigen Literatur nicht so zuhause wie in anderen Literaturen, aber dieser Epochenbruch ist mir nicht fremd. Felix Philipp Ingold dokumentierte den Großen Bruch, Russland im Epochenjahr 1913 und auch Florian Illies beschrieb den Sommer des Jahrhunderts 1913.
Welch aufregende Zeit! Welch aufregende Literatur!

Virginia Woolfs Werke habe ich in jungen Jahren gelesen, sie galt als Bannerträgerin der emanzipierten Frau und wir bewegten jungen Frauen der 1970er suchten Vorbilder, Kämpferinnen, denen wir nacheifern konnten und wollten. Joyce ist ja ein unausweichlicher Autor, fast schon ein Opfer der Eventkultur, er begegnet mir jeden Juni erneut, aber von T. S. Eliot kannte ich eigentlich nur Old Possums Katzenbuch aus dem Bücherschrank meiner Mutter, und als Cats-musical-geplagte Hamburgerin machte ich einen Bogen um seine Bücher.

Das war falsch! Wolfgang Wichts Aufsatz „Ich fischte, die öde Ebene im Rücken: Thomas Stearns Eliot“ regte mich zur Suche an. Ich suchte nach dem Öden Land, besorgte mir The Waste Land and Other Poems als ebook und suchte nach einer deutschen Ausgabe, denn so gut sind meine Englischkenntnisse nicht, als daß sie ausreichten, diese kraftvollen Texte zu erfassen. Werke in vier Bänden: 4: Gesammelte Gedichte 1909-1962 wurden es dann. Und ich las mich fest. Welch eine widerständige Lektüre…

Die Theorie und Praxis des entpersönlichten Gedichtes ist ein Wesensmerkmal des literarischen Modernismus und gehörte zu den Begründungssätzen der Auflehnung gegen eine dominierende konventionelle Poesie, die vom subjektiven Gefühlsausdruck, der Naturerfahrung oder der Bebilderung weltanschaulicher, ethischer und moralischer Konzepte lebte.

so Wolfgang Wicht.

Hundert Jahre sind vergangen, aber das Alles gilt immer noch. Hundert Jahre Fortschritt, Krieg, Zerstörung, Völkermord, Vermassung, Herrschaft des Kapitals … die konventionelle Poesie, Belletristik ist nicht überwunden, (beherrscht das weite Feld der Selfpublishing-Autoren, wenn ich das mal ketzerisch einwerfen darf), die damals neue Textform ist heute immer noch fremd, sperrig, unverständlich, hat von ihrer Wirkung nichts verloren.  Und das muß so sein. Sand im Getriebe, Knüppel zwischen die Beine der berechenbaren Literatur !

Ich möchte schließen mit einem Zitat T.S. Eliots und mich beim Verlag bedanken für diese Edition.

Kultur hat ihre Tradition und liebt die Erneuerung; die Allgemeine Lesende Öffentlichkeit kennt keine Tradition und liebt das Abgestandene.

Wolfgang Wicht: James Joyce & Company: Essays
Essays
Broschiert: 213 Seiten
Verlag: Shoebox House Verlag; Auflage: 1., Aufl. (24. Januar 2013)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3941120115
ISBN-13: 978-3941120112

Die Autorenseite von Wolfgang Wicht bei amazon || Der Verlag Shoebox House || Ein Interview mit Professor Wolfgang Wicht bei Figaro im MP3-Format

Suite Française

Ich hatte zum Welttag des Buches 2012 ein Buchpaket mit 30 Bänden der Suite Française von Irène Némirovsky erhalten und diese Bände reichlich verteilt. Aber selbst gelesen habe ich das Buch erst jetzt. Nun war die richtige Zeit für mich, diese Autorin, die mir von meiner Buchhändlerin Frau Herbst so sehr ans Herz gelegt worden war, näher kennen zu lernen und das Buch auch zu Ende zu lesen (durch irgendwelche Umstände war ich immer wieder davon abgekommen gewesen).

Über die Autorin muss ich nicht viel schreiben, es gibt in der Wikipedia einen ausführlichen Artikel zu ihr und zu ihrem Werk, der Suite Française. Die Handlung spielt in der Zeit der deutschen Besetzung Frankreichs und des Vichy-Regimes.

Das Buch / die Suite ist unvollendet, es gibt nur die ersten 2 Bände. Der erste Band: Die Flucht der Bürger aus Paris, der zweite Band: Deutsche Besatzung in einer kleinen Landstadt.

Die Autorin beschreibt sehr genau, dringt in die Seelen ihrer Personen ein, in ihre Ängste und ihre Stärken, ihre Verstrickungen und ihre Schicksale. Das liest sich alles gut und ist eindringlich, die Personen bleiben im Gedächtnis.

Aber es gibt einen großen Haken in diesem Werk. Jedenfalls sehe ich das so:

Die Autorin ist Jüdin, ihr Mann ist Jude, sie bringen ihre Kinder vor den Deutschen in Sicherheit und müssen später aufgrund der Verordnungen des Pétain-Regimes Paris verlassen, dürfen nicht in der Hauptstadt leben.  Irène Némirovsky muß von der Gefahr, der Judenverfolgung (der sie später ja auch zum Opfer fiel) gewußt haben. Aber Antisemitismus, Rassenhaß, Verschleppung kommt in ihrem Buch nicht vor. Es gibt keine negative Äußerung über Juden, die deutschen Besatzer sind höflich, zivilisiert und beschlagnahmen nur mal ein paar Pferde. Sie tun eigentlich nichts Böses, sind halt Soldaten.

Ich verstehe das nicht. Ist es Verdrängung? Ist es Blindheit? Wie konnte Irène Némirovsky in ihrem grossen, intensiven Panorama über dieses Thema hinweggehen?

Bruno Schulz: sein 120.ter Geburtstag

am 12. Juli 2012 war der 120.te Geburtstag von Bruno Schulz zu feiern. Und er wird inzwischen auch gefeiert, jedenfalls wahrgenommen. So findet gerade in Drohobycz, seiner Geburts- und Todesstadt, das Schulzfest statt, ein Festival zu seinen Ehren. Es endet heute am 12.09.

Das Festival trägt den Titel: „The Ark of Bruno Schulz’s Imagination“ und findet zum 5. Male als „Internationales Bruno Schulz Festival“ statt. Ich muß aufmerksamer sein, ich wußte bisher nichts von dieser Veranstaltung.

Informationen über das Festival und zum Verlauf des Festivals gibt es im Festivalblog.

Im WDR berichtete Martin Sander über dieses Festival. Sie können den Bericht auf der WDR-Seite nachhören. Martin Sander schrieb auch den Aufsatz „Ein Ukrainier ist nicht immer ein Ukrainer“, auf den ich schon auf dieser Seite hingewiesen habe.

Leider habe ich auch versäumt, die Installation „Die Bilderkammer des Bruno Schulz„, die bis zum 9. September in Hamburg gezeigt wurde, zu besuchen. Benjamin Geissler, der zusammen mit seinem Vater die Wandbilder Schulzens aufgespürt hatte, zeigte in der Sammlung Falckenberg eine Videoinstallation zu diesem Thema. (Ein Besuch dieser Installation wäre für mich sicherlich lohnender gewesen als die langweilige Documenta, auf der ich 3 Tage lang die Kunst suchte und nur Projektwochen-Ergebnisse zu sehen bekam.)

Ich werde versuchen, mir wenigstens den Katalog dieser Ausstellung zu besorgen. Informationen über die leider nun beendete Ausstellung findet man auf der Seite der Deichtorhallen Hamburg. Dort steht auch ein Artikel  des Sammlers Harald Falckenbergs zum Download.

Ein Nachtrag zum Alexandriaquartett

Lawrence Durrell: Das Alexandria-QuartettGerade habe ich geschrieben, wie wichtig mir Lawrence Durrells Alexandriaquartett ist. Ich habe dieses Buch so oft gelesen, daß die gebundene Ausgabe doch schon sehr sehr zerfleddert ist, der Sand der kretischen Südküste und von der Cyrenaika, wo ich es auch las, rieselt immer noch heraus.

Durrell vollbrachte für mich das Wunder, den Leser über eine banale und in ihrer Konstellation nicht sehr glaubhafte Liebesgeschichte zu einer hochkomplexen Verschwörung zu leiten und ihn in einem weitgespannten Bogen durch die Levante von Alexandria bis auf eine kleine griechische Insel zu führen. Wie Folien legen sich die einzelnen Romane, von denen jeder einer Persönlichkeit des Quartetts gewidmet ist, übereinander und ermöglichen am Ende erst den Überblick, die Erkenntnis des Erzählten, das Panorama des englischen Empire und der erwachenden politischen arabisch-ägyptischen Welt. Gnosis, Kabbala scheinen immer wieder auf, verbinden die Gegenwart mit ihrem Fundament in der Vergangenheit.

Aber dieses großartige Werk wird nicht mehr aufgelegt.  Es finden sich nur antiquarische Angebote. Bei Amazon wird die Tetralogie entweder für 97,00 EUR angeboten, oder die einzelnen Bände als Taschenbücher zu jeweils 0,01 EUR.

Der Rowohlt-Verlag, großgeworden durch die Vermittlung englischsprachiger Literatur und Durrells Herausgeber in Deutschland, kann nicht einmal ein Autorenporträt auftreiben! Gerade mal zwei der Reisebeschreibungen sind dort erhältlich, Tunc und Nunquam werden ohne jede bibliographische Information zwar angezeigt, sind aber auch nicht erhältlich, das Alexandria-Quartett und das Avignon-Quintett scheint es nie gegeben zu haben. Selbst Durrells 100. Geburtstag in diesem Jahr ist dem Verlag kein Zeichen wert.

Da geht es Henry Miller, Durrells engem Freund, bei rowohlt ein wenig besser. Aber auch von ihm nicht einmal ein Bild, Plexus und Sexus nicht mehr erhältlich, einzig Nexus hat aus dieser Trilogie überlebt. 

Es ist eine Schande. Anders kann ich es nicht nennen.

PS: der Schauspieler Max Tidoff empfahl in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks das Alexandria-Quartett. Dort wird auch rowohlt als Verleger genannt, gezeigt wird aber die englische Ausgabe. Denn eine deutsche Ausgabe gibt es nicht (mehr).

Durrell 2012Zum Trost aber der Link zum Lawrence Durrell Centenary:

Eine Tagung im Juni und viele viele Informationen!

www.durrell2012.com und Faber und Faber brachte das Alexandria-Quartett zum Jubiläumsjahr neu heraus.

ReJoyce! Am Bloomsday, heute, 16. Juni 2012

James Joyce in DublinAm 16. Juni 1904 flanierte Leopold Bloom durch Dublin und James Joyce folgte ihm und schrieb  Ulysses, ein Buch, das eher zu hören denn zu lesen sei, wie Samuel Becket meinte.

Wir Leser heute haben die Auswahl: wir können das Buch in der grandiosen Übersetzung von Hans Wollschläger(bei Suhrkamp erschienen) kaufen, wir können die EBook-Ausgabe für den Kindle bei Amazon oder bei gutenberg.org  herunterladen, oder wir können dem Rate Beckets folgen und dieses Buch hören.

Dazu gibt es gerade jede Gelegenheit, und deshalb bin ich auch früh aufgestanden heute.

Ich liste mal die Großereignisse auf:

Kulturradio vom rbb sendet seit Mitte April den Ulysses in 80 Folgen. Auf der verlinkten Seite finden sich auch gute Informationen zu dem Werk.

Am 15.06. sendete der rbb das Hörspiel Anna Livia Plurabelle von Hörspiel von Grace Yoon nach James Joyce „Finnegans Wake“, ich habe aber, obwohl im Nachspann angekündigt, das Werk nicht in der Mediathek gefunden.

Aber heute, am Bloomsday, wird der Ulysses in 22 Stunden gesendet. SWR2 und andere Sender übertragen ab 8:00 Uhr 22 Stunden lang den Spaziergang durch Dublin.  Auf der Webseite kann man auf einer Karte den Weg durch die Stadt verfolgen.

Ab 18:05 beim WDR 3 dann, nicht ganz so lang, nur 8 Stunden,  die Dubliners als Hörspiel .

Wer  nicht alleine hören mag, denn heute ist Kultur ja oft eher Event denn Essenz, kann sich auch zu den Public  oder Private Listening Parties gesellen, die in Baden-Baden oder Berlin veranstaltet werden, an anderen Orten sicherlich auch.

Ich nehme mir  die Sendungen auf, Platz ist auf der Festplatte, damit ich das, was ich durch die Unterbrechungen des Tagewerkes versäume, oder das Parallel-Gesendete nachhören kann, nicht als Private Listening, sondern einfach zu Hause.

Das Photo rechts: By Toniher (Own work) [CC-BY-SA-2.5], via Wikimedia Commons

 

Parallele Geschichten

Bevor ich nun versuche, Peter Nadas Parallelgeschichten zu über- und durchleben, liegt mir eine Lese-Erfahrung am Herzen, die ich hier notieren möchte. Iwan Bunin tritt in meinen Horizont.

Iwan Bunin: Liebe und andere UnglücksfälleGut, ich hatte schon die "Briefe an einen unbekannten Freund" gelesen, auch einige verstreute Texte, aber nun hat es eine andere Intensität. Der Band mit Novellen aus den Jahren 1916 bis 1940 (nicht mehr lieferbar, aber zu unschlagbar günstigen Preisen gebraucht zu finden!) beschäftigt mich nun schon einige Wochen. Mehr als eine Erzählung kann ich nicht verarbeiten am Tag, sie sind so konzentriert, dicht, nah, wie soll ich es beschreiben?

Da gibt es den Sonnenstich: eine Frau und ein Mann, die sich auf einem Wolgadampfer kennenlernen, steigen kurzerhand aus und verbringen eine Nacht zusammen in einem Hotel. Sie wissen, daß eine solche Nacht nicht wiederkehren wird, daß sie etwas Einmaliges erlebt haben. Erst fährt sie am nächsten Tag mit dem nächsten Linien-Dampfer weiter, zurück vom Sommer-Urlaub zur Familie, dann er noch einen Tag später.
Eine radikale Geschichte. Die beiden sind sich bewußt, daß diese Nacht ein einmaliges Erlebnis bleibt und kehren in ihre Leben zurück.
EIne Erzählung, so radikal in dieser Zeit wie Anton Tschechows Die Dame mit dem Hündchen: Aber bei Tschechow  brechen sie und er aus ihren schal gewordenen Ehen aus und beginnen ein gemeinsames Leben in Moskau. Aus ihrer Urlaubsaffaire wird ein gemeinsames Leben.
Beide Paare brechen Konventionen und sind sich dessen bewußt. Beide Paare haben etwas Unerhörtes getan.

GelenschikDann die Erzählung "Der Kaukasus": Eine Frau betrügt ihren Mann. Der Erzähler ist ihr Liebhaber. Sie reisen an die Schwarzmeerküste, suchen einen kleinen Ort und verbringen gemeinsame Tage. Ruhig, zufrieden, ohne Frage. Ihr Mann suchte sie in Gelendshik, in Gragra, in Sotschi. Er erschießt sich.

Und bei Tschechow geht der Mann ins Meer, In der Nacht zu Weihnachten, weil er die Enttäuschung seiner Frau, daß er einen Schiffbruch überlebt hat, nicht ertragen kann.

Die Menschen in diesen Erzählungen bestimmen ihr Leben nicht selbst, sie liefern sich der Liebe aus. Und halten ihr stand, mehr oder weniger stark.

Hans Joachim Schädlich: Kokoschkins ReiseIwan Bunin: Cechov. Erinnerungen eines ZeitgenossenDann finde ich zu Hans Joachim Schädlich's Band "Kokoschkins Reise" und auch dort begegnet mir Iwan Bunin. Der Protagonist, Herr Kokoschkin, kennt ihn aus der Zeit des Exils in Odessa, 1920.

Aber dazu in einem weiteren Beitrag.

Und bei einem Freund sehe ich "Cechov. Erinnerungen eines Zeitgenossen", aktuelle Lektüre, zeitweilig beiseitegelegt..

Plötzlich ist Iwan Bunin überall. Ich muß ihn lesen. Wie gut, daß eine Neuausgabe seiner Werke beim Verlag Dörlemann in Arbeit ist.

Iwan Bunin: Liebe und andere Unglücksfälle.
Gebundene Ausgabe: 396 Seiten
Verlag: Eichborn (2004)
ISBN-10:3821847247
ISBN-13: 978-3821847245

Iwan Bunin: Cechov. Erinnerungen eines Zeitgenossen
Gebundene Ausgabe: 298 Seiten
Verlag: Friedenauer Presse; Auflage: 1 (2004)
ISBN-10: 3932109384
ISBN-13: 978-3932109386