Kitschprobe

Odojewski: Sommer in Venedig
Odojewski: Sommer in Venedig

Meinem Urteilsvermögen vertraue ich und ich gebe meine Meinung auch des öfteren ungebrochen und vehement kund, aber ab und an zweifel ich doch.

In solchen Fällen hilft mir die Kitschprobe: ich erzähle einer anderen Person das Buch in einem Fluß, geradeheraus und frei Schnauze … und gebe in einem letzten Satz dann meine Einschätzung ab.
Am Tonfall, am Redefluß merke ich dann selbst, ob mir das Buch gefallen hat, ob ich mich geärgert habe, ob es Kitsch ist, ob es verträglicher Kitsch oder zukleisternder Kitsch ist..

Bei dem Sommer in Venedig habe ich gezweifelt. Solche Bücher liegen mir am Herzen: Jungs zu Beginn des Weltkrieges erzählen ihre Kindheit, das Ende ihrer Kindheit. Mit dieser Thematik habe ich schon meine Staatsexamensarbeit bestritten…

Und dieser Junge träumt von Venedig, die Flüchtlinge, die am Obstgarten vorbeiziehen, wo er bei seiner Tante den letzten Kindheitssommer verbringt, träumen allerdings nicht mehr.

Und der sterbende Soldat, in dessen brechenden Augen sich die Abendsonne spiegelt, hat endgültig ausgeträumt.

Ich kann mich dem Urteil der Leser, so wie sie z.B. auf Amazon das Buch loben, nicht anschließen. Und ich finde es auch ausgesprochen degoutant, wenn neben dem vortrefflichen Inhalt die feine Ausstattung des Buches (Umschlag, Innenrückenseiten, Lesebändchen) gerühmt wird.

Nicht bei einem solchen Thema.

Wlodzimierz Odojewski: Ein Sommer in Venedig
Verlag: Schirmergraf; Auflage: 1 (2007)
ISBN-10: 3865550444
ISBN-13: 978-3865550446