Text ohne Autor

Das ebenso diskrete wie folgenreiche Spiel mit dem Buchstaben kommt in jedem Fall einer Verfremdung oder Entautomatisierung der Bedeutungskonstitution gleich. Im wesentlichen ist diese spielerische, oft auch verspielte Wortarbeit eine Errungenschaft des poststrukturalistischen Dekonstruktivismus; sie verpflichtet den Leser zu einer hermeneutischen Sorgfalt, die dem Text nicht nur auf der Bedeutungsebene, sondern auch in seiner schieren Buchstäblichkeit gerecht zu werden hat – zu einer kreativen Lektüre, die nichts ausser acht lässt, die alles mit allem in Beziehung bringt, die das Eine und das Andere im Selben zu erkennen vermag; einer Lektüre wohl auch, welche grundsätzlich über die Intentionen des Autors hinauszuweisen vermag, da sie jenseits von „falschem“ oder „richtigem“ Verstehen Unverständliches und Missverstandenes eigenmächtig weiterdenkt.

Quelle: Felix Philipp Ingold, Text ohne Autor, Postmodernes Sprachdesign. München und Wien 1992