männlicher Rückblick und Abschied

André Gorz
André Gorz
Andrè Gorz schrieb einen Brief an D.

Es ist ein Abschiedsbrief, ein Lebensbericht. Er schreibt ihn an seine Frau, mit der er wenig später aus dem Leben scheiden wird.
Dieser Brief hat Aufsehen erregt, war doch der Autor einer der prägenden Kultur-Philosophen des 20. Jahrhunderts, Gefährte Sartres. In Frankreich und auch in Deutschland wird er gelesen.

Alle Rezensenten sind angetan von diesem Werk, und ich spüre beim Lesen einen unterdrückten Ärger. Dieser Mann beschreibt in diesem Brief sein Leben, sein Leben mit seiner Frau, die es 60 Jahre mit ihm geteilt hat, aber diese Frau kommt nicht vor, diese Frau ist für ihn nur ein Spiegel. Sie regelt den Alltag für ihn, sie verdient mit, sie ist schön, selbstbewußt, aber? Sie kommt nicht vor.

Das merkt er dann er auch. Aber erst am Beginn dieses Rückblickes. Als es zu spät ist. „Warum nur bist du in dem, was ich geschrieben habe, so wenig präsent, während unsere Verbindung doch das Wichtigste in meinem Leben gewesen ist?“ Und er formuliert die Frage so, als richtete er sie an seine Frau. Er müsste sie an sich selbst richten.
Das schafft er aber nicht.

So wird er von den Rezensenten ob dieser viel zu späten Einsicht gelobt. Er, ein Meisterdenker des 20. Jahrhunderts, immer vorne dran, aber zuhause der ganz gewöhnliche Mann, der seine Frau liebt, aber nicht wahr nimmt.

Wieder einer von diesen Salonsozialisten, die etwas wollen, was sie selbst nicht verstehen: Freiheit der Person und Respekt.
Die männliche Brille ungetrübt von jeder Aufklärung – aber de mortuis nil nisi bene und so lasse ich es denn bei meinem persönlichen Ärger.

André Gorz: Brief an D: Geschichte einer Liebe
Verlag: Btb (2. März 2009)
ISBN-10: 344273875X
ISBN-13: 978-3442738755
Originaltitel: Lettre à D. Histoire d’un amour